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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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hatte den Encounter -Skandal überlebt, die Zeitschrift selbst ebenfalls. Aber Spender war nicht so angreifbar gewesen. Tom würde als Lügner dastehen.
    Ich schlief eine Stunde, dann klingelte der Wecker. Wie im Tran wusch ich mich und zog mich an, viel zu erschöpft, um an den vor mir liegenden Tag zu denken. Aber fühlen konnte ich sie, die betäubende Angst. So früh am Morgen war es nicht nur kalt, sondern auch klamm im Haus, doch in der Küche herrschte ausgelassene Stimmung. Bridget hatte um neun eine wichtige Prüfung, und Tricia und Pauline hatten Eier, Speck und Würstchen zum Frühstück für sie vorbereitet. Eine der drei reichte mir einen Tee, ich wärmte meine Hände an der Tasse, hörte ihrem Geplauder zu und wünschte, auch ich könnte demnächst als Fachanwältin für Eigentumsübertragungsrecht zugelassen werden. Als Pauline mich fragte, warum ich so bedrückt dreinschaue, antwortete ich aufrichtig, dass ich eine schlaflose Nacht hinter mir habe. Dafür bekam ich einen freundlichen Klaps auf die Schulter und ein Sandwich mit Spiegelei und Speck. Das rührte mich fast zu Tränen. Ich meldete mich freiwillig zum Abwasch, und während die drei anderen sich [407] bereitmachten, schöpfte ich Trost aus dem häuslichen Dreischritt von dampfend heißem Wasser, Schaum und sauberen nassen Tellern.
    Ich ging als Letzte aus dem Haus. Im Erdgeschoss entdeckte ich auf dem Linoleum unter dem Briefschlitz in der Haustür zwischen verschiedenen Werbesendungen eine an mich adressierte Postkarte. Die Vorderseite zeigte einen Strand auf Antigua und eine Frau mit einem Korb voller Blumen auf dem Kopf. Die Karte war von Jeremy Mott.
    Hallo Serena. Bin dem langen Edinburgher Winter entflohen. Wie herrlich, endlich den Mantel zu Hause lassen zu können. Das geheimnisvolle Rendezvous letzte Woche war sehr nett, viel von Dir gesprochen! Komm mich doch mal besuchen. Viele Küsse, Jeremy
    Rendezvous? Mir war nicht nach Rätseln. Ich steckte die Karte ein und ging aus dem Haus. Als ich zur U-Bahn-Station Camden eilte, fühlte ich mich schon ein wenig besser. Ich versuchte, mich tapfer in mein Schicksal zu ergeben. Das Ganze war ein Sturm im Wasserglas, ein Finanzierungsskandal, und ich konnte sowieso nichts machen. Ich riskierte, meinen Geliebten und meinen Job zu verlieren, aber zu Tode kommen würde dabei niemand.
    Damit mich im Büro niemand mit dem Zeitungsstapel sah, hatte ich mir vorgenommen, die Presse noch in Camden durchzusehen. Und so stand ich in dem eisigen Wind, der durch die beiden Eingänge der Schalterhalle fegte, und kämpfte mit mehreren flatternden Zeitungen. Auf die Titelseiten hatte Tom es nicht geschafft, aber innen berichteten [408] sie alle über ihn, die Daily Mail, der Daily Express, mit verschiedenen Fotos. Die Artikel waren allesamt Variationen der Agenturmeldung, garniert mit einzelnen Passagen aus seiner Presseerklärung. Alle zitierten seine Beteuerung, er habe niemals Kontakt zum MI 5 gehabt. Gut war das nicht, es hätte aber auch noch schlimmer sein können. Falls nichts Neues nachkam, war die Geschichte vielleicht bald schon tot. Zwanzig Minuten später ging ich beinahe beschwingt die Curzon Street entlang. Und fünf Minuten später im Büro schnellte mein Puls kaum hoch, als ich auf meinem Schreibtisch einen Umschlag der Hauspost erblickte. Man bat mich für neun Uhr in Tapps Büro, damit hatte ich gerechnet. Ich hängte meinen Mantel auf und fuhr mit dem Lift nach oben.
    Sie warteten schon auf mich – Tapp, Nutting, der kleine graue Herr aus der fünften Etage und Max. Ich hatte den Eindruck, in eine längere Gesprächspause hineinzuplatzen. Sie tranken Kaffee, aber niemand bot mir eine Tasse an, Tapp deutete bloß mit einer Hand auf den einzigen freien Stuhl. Ein Stapel Zeitungsausschnitte lag auf dem niedrigen Tisch vor uns. Daneben Toms Roman. Tapp griff danach, schlug ihn auf und las: »Für Serena«. Er warf das Buch auf die Zeitungsausschnitte.
    »Also, Miss Frome. Wie kommt es, dass wir in sämtlichen Zeitungen stehen?«
    »Die haben das nicht von mir.«
    Tapp ließ ein leises, ungläubiges Räuspern vernehmen, bevor er nuschelte: »Ach wirklich.« Und dann: »Sie… treffen sich mit diesem Mann?«
    So wie er es sagte, klang das Verb obszön. Ich nickte, und [409] als ich mich umsah, begegnete mir Max’ starrer Blick. Diesmal sah er nicht weg. Ich zwang mich, seinem Blick standzuhalten, und wandte mich erst ab, als Tapp weitersprach.
    »Seit wann?«
    »Seit Oktober.«
    »Sie treffen

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