Honig
und Jugend war, auch wenn ich das meiste davon im Haschischrausch wieder vergessen habe. Ich weiß aber noch, dass wir zum Abendessen ein Blumenkohl-Käse-Gratin und braunen Reis gegessen haben.
Ich blieb über Nacht, denn am Sonntag wollte ich in die Kathedrale gehen und Deinen Vater predigen hören. Ich war neugierig, weil Du mir in einem Brief geschildert hattest, wie Du vor Eurer Haustür in seinen Armen in Tränen ausgebrochen warst. Und da war er, in all seinem kühlen Gepränge, doch sagte er an diesem Tag – gar nichts. Seine Untergebenen, auch sie recht prunkvoll und unbeeindruckt von der fast leeren Kirche, zelebrierten den Gottesdienst, mit der ganzen Inbrunst eines unerschütterlichen Glaubens. Ein Mann mit nasaler Stimme hielt die Predigt, eine routinierte Auslegung des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter. Beim Rausgehen gab ich Deinem Vater die Hand. Er sah mich interessiert an und erkundigte sich freundlich, ob ich wiederkommen werde. Wie hätte ich ihm die Wahrheit sagen können?
Ich schrieb Jeremy, stellte mich als guten Freund von Dir vor und behauptete, ich sei zufällig gerade in Edinburgh [449] und Du hättest gesagt, ich solle mich bei ihm melden. Ich wusste, so eine Lüge würde Dich nicht stören, ich wusste aber auch, dass ich ein Risiko einging. Wenn er Dir von meinem Besuch erzählte, würde meine Tarnung auffliegen. Diesmal musste ich mich betrinken, um mehr über Dich herauszufinden. Wie sonst hätte ich je erfahren, wie Du Kolumnistin bei ?Quis? geworden bist? Von seinen seltenen Orgasmen, seinem eigenartigen Schambein und dem gefalteten Handtuch hattest Du mir selbst schon erzählt. Jeremy und mich verband auch das sechzehnte Jahrhundert, seine Geschichte und Literatur, und ich brachte ihn auf den neuesten Stand in Sachen Tony Canning als Verräter. Von Eurer Affäre hatte er nichts gewusst und war schockiert. Der Abend im Old Waverley Hotel verging wie im Flug, und als ich am Ende die Rechnung übernahm, fand ich das Geld gut angelegt.
Aber warum belästige ich Dich mit Einzelheiten meiner Recherchen? Erstens, damit Du siehst, dass ich die Sache ernst genommen habe. Zweitens, um klarzustellen, dass Du vor allen anderen meine wichtigste Quelle gewesen bist. Natürlich gab es all das, was ich mit eigenen Augen gesehen habe. Und die Handvoll Leute, mit denen ich mich im Januar getroffen habe. Aber mein größtes Beobachtungsfeld, eine ganze Insel für sich, warst Du und Du allein, mit all Deinen Gedanken und vielleicht manchem, was Du selbst nicht von Dir wusstest. Auf diesem Terrain habe ich extrapolieren oder dazuerfinden müssen.
Ein Beispiel. Unsere erste Begegnung in meinem Büro werden wir wohl beide niemals vergessen. Als Du zur Tür hereinkamst und ich Deinen altmodischen Pfirsichteint und [450] Deine sommerblauen Augen sah, ahnte ich, dass eine Veränderung in meinem Leben bevorstand. Ich habe mir die Minuten vor diesem Augenblick ausgemalt, wie Du in Falmer aus dem Bahnhof kommst, den Weg zum Campus einschlägst und wie angesichts dieser neugegründeten Universität jenes blasierte Missfallen in Dir aufsteigt, das Du mir gegenüber dann später geäußert hast. Adrett und hübsch anzusehen, bewegst Du Dich durch die Scharen langhaariger, barfüßiger Studenten. Deine Verachtung steht Dir noch ins Gesicht geschrieben, als Du mir Deinen Namen nennst und anfängst, mir Deine Unwahrheiten zu erzählen. Du hast Dich bei mir über Deine Zeit in Cambridge beklagt, Du hast behauptet, sie sei intellektuell lähmend gewesen, dennoch verteidigst Du Deine Uni bis zum Letzten und siehst auf meine herab. Denk vielleicht noch einmal darüber nach. Lass Dich nicht von lauter Musik täuschen. Ich glaube, meine Uni war anspruchsvoller, seriöser und angenehmer als Deine. Ich spreche als Produkt einer wissenschaftlichen Kultur, deren Felder Asa Briggs neu abgesteckt hat. Die Seminare waren auf hohem Niveau. Zwei Aufsätze pro Woche, drei Jahre lang ohne Unterbrechung. All die üblichen literaturwissenschaftlichen Themen, dazu Historiographie als Pflichtfach für alle Anfänger; und dann die Wahlfächer, in meinem Fall Kosmologie, Kunst, Internationale Beziehungen, Vergil, Dante, Darwin, Ortega y Gasset… Sussex hätte Dir niemals erlaubt, so herumzudümpeln, wie Du es getan hast, hätte niemals zugelassen, dass Du nichts anderes als Mathematik betreibst. Warum behellige ich Dich damit? Ich höre Dich zu Dir selber sagen: Er ist eifersüchtig, er ist genervt, weil er in diesem [451]
Weitere Kostenlose Bücher