Honig
gebracht. Es kann nicht lange dauern, bis die Liste der anderen Honig-Stipendiaten publik wird. Es wird Hohn und Spott geben, der eine oder andere wird seinen Posten verlieren. Und Du, Du hast keine Chance, die Zeitungen von morgen zu überleben. Wie ich höre, siehst Du auf den Fotos umwerfend aus. Aber Du wirst Dir einen anderen Job suchen müssen.
Gleich werde ich Dich bitten, eine wichtige Entscheidung zu treffen, aber vorher möchte ich Dir noch meine Lieblings-Agentengeschichte erzählen. Der MI 5 hatte da seine Finger im Spiel, ebenso der MI 6. 1943. Damals ging es [454] um mehr als heute, es wurde mit härteren Bandagen gekämpft. Im April jenes Jahres wurde an der Küste Andalusiens die verweste Leiche eines Offiziers der Royal Marines an Land gespült. An das Handgelenk des Toten war ein Aktenkoffer voller Dokumente gekettet, in denen es um die Invasion Südeuropas via Griechenland und Sardinien ging. Die spanischen Behörden nahmen Kontakt mit dem britischen Attaché auf, der zunächst wenig Interesse an dem Leichnam oder dem Koffer bekundete. Dann schien er es sich anders zu überlegen und setzte alle Hebel in Bewegung, um an beides heranzukommen. Zu spät. Die Spanier waren im Krieg neutral, aber eher auf Seiten der Nazis. Die deutschen Geheimdienste nahmen sich der Sache an, die Dokumente gelangten nach Berlin. Das deutsche Oberkommando analysierte den Inhalt des Koffers, erfuhr von den Absichten der Alliierten und änderte seine Verteidigungsmaßnahmen entsprechend. Aber wie Du wahrscheinlich aus Der Mann, den es nie gab weißt, handelte es sich bei dem Leichnam und den Dokumenten um einen Bluff, ein vom britischen Geheimdienst ersonnenes Täuschungsmanöver. Der Offizier war in Wirklichkeit ein walisischer Landstreicher, den man aus einer Leichenhalle geholt und sorgfältig mit einer fiktiven Identität ausgestattet hatte, bis hin zu Liebesbriefen und Eintrittskarten für eine Londoner Theatervorstellung. Die alliierte Invasion im Süden fand dann auf dem näherliegenden Weg über Sizilien statt, das nur unzureichend verteidigt war. Zumindest einige von Hitlers Divisionen bewachten die falschen Einfallstore.
Die Operation Mincemeat war nur eine von Dutzenden Kriegsfinten, aber was sie meiner Meinung nach so beson [455] ders effektiv gemacht hat, war die Art, wie sie eingefädelt wurde. Die Idee stammte ursprünglich aus einem 1937 erschienenen Roman, The Milliner’s Hat Mystery. Der junge Marinekommandant, dem die Textpassage aufgefallen war, sollte eines Tages ein berühmter Schriftsteller werden. Sein Name war Ian Fleming, und er präsentierte die Idee zusammen mit anderen Täuschungsmanövern einem geheimen Ausschuss, dessen Vorsitzender ein Dekan aus Oxford war, der nebenher auch Kriminalromane schrieb. Mit vereintem schriftstellerischem Talent stattete man einen Toten mit einer Identität und einer plausiblen Vorgeschichte aus. Der Marineattaché, der das Auftauchen des ertrunkenen Offiziers in Spanien inszenierte, war ebenfalls Schriftsteller. Wer sagt, die Dichtkunst könne nichts bewirken? Mincemeat war ein Erfolg, weil die geheimdienstliche Vernunft von Phantasie und Erfindungsgabe beflügelt wurde. In kläglichem Vergleich dazu hat die Operation Honig, diese Vorbotin des Verfalls, den Prozess umgekehrt und ist gescheitert, weil die Vernunft sich in die Phantasie einmischen wollte. Unseren großen Augenblick hatten wir vor dreißig Jahren. Im heutigen Niedergang leben wir im Schatten von Giganten. Du und Deine Kollegen müsst gewusst haben, dass der Plan nichts taugte und von Anfang an zum Scheitern verurteilt war, aber aus bürokratischen Gründen habt Ihr weitergemacht, weil der Befehl von ganz oben kam. Dein Peter Nutting hätte auf Angus Wilson, den Vorsitzenden des Arts Council, hören sollen, auch er ein Schriftsteller, der zu Kriegszeiten Verbindungen zum Geheimdienst hatte.
Ich habe Dir gesagt, es war nicht Wut, was mich zu [456] schreiben veranlasste, was Du in dem Päckchen vor Dir siehst. Aber mir ging es schon auch darum, es Dir mit gleicher Münze heimzuzahlen. Wir waren beide Berichterstatter. Du hast mich belogen, ich habe Dir nachspioniert. Es war köstlich, und ich fand, Du hattest nichts anderes verdient. Ich habe wirklich geglaubt, ich könnte die Angelegenheit zwischen zwei Buchdeckel packen und Dich damit für immer aus meinem Leben verbannen. Aber ich habe nicht mit der Eigenlogik dieses Projekts gerechnet. Ich musste nach Cambridge, um Deinen drittklassigen
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