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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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verraten.«
    »Das kann doch nicht sein. Das ist absurd. Du bist doch von uns allen die Beste.«
    [165] »Ich hätte es dir irgendwo unter vier Augen erzählen können. Aber unsere Zimmer sind nicht sicher. Und ich will, dass die sehen, wie ich mit dir rede.«
    Der Lead-Gitarrist hatte seine Gitarre umgeschnallt. Er und der Drummer beugten sich zusammen mit dem Roadie über irgendein Gerät auf der Bühne. Feedback jaulte auf und wurde rasch abgewürgt. Ich starrte auf die Menschentrauben im Pub, hauptsächlich Männer, die uns den Rücken zuwandten und mit ihrem Bier in der Hand auf den Beginn des Konzerts warteten. Und da sollten Leute von Abteilung A4 dabei sein, Aufpasser? Ich war skeptisch.
    Ich fragte: »Meinst du wirklich, du wirst beschattet?«
    »Ich doch nicht. Du.«
    Ich musste aufrichtig lachen. »Das ist doch albern.«
    »Nein, im Ernst. Die Aufpasser. Von Anfang an. Wahrscheinlich waren sie in deinem Zimmer. Haben es verwanzt. Immer schön weiterlächeln, Serena.«
    Ich drehte mich um. Bei Männern kam schulterlanges Haar damals schon aus der Mode, und die schrecklichen Schnurrbärte und dicken Koteletten lagen noch in der Zukunft. Also jede Menge undefinierbare Männer, jede Menge Kandidaten. Ich glaubte etwa ein halbes Dutzend ausmachen zu können. Und dann schienen mir plötzlich alle Anwesenden in Frage zu kommen.
    »Aber warum, Shirley?«
    »Ich dachte, das könntest du mir sagen.«
    »Da ist nichts. Das bildest du dir doch alles nur ein.«
    »Hör zu, ich muss dir was sagen. Ich habe etwas Dummes getan, und ich schäme mich dafür, wirklich. Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll. Ich wollte gestern schon mit [166] dir reden, hab’s aber nicht über mich gebracht. Aber ich muss ehrlich zu dir sein. Ich hab Mist gebaut.«
    Sie holte tief Luft und griff nach der nächsten Zigarette. Ihre Hände zitterten. Wir sahen zur Band rüber. Der Drummer saß schon auf seinem Hocker, stellte die Hi-Hat ein und führte ein kleines Kunststück mit den Besen vor.
    Schließlich begann Shirley: »Bevor wir dieses Haus putzen gegangen sind, haben die mich kommen lassen. Peter Nutting, Tapp und dieser unheimliche Typ, Benjamin soundso.«
    »Mein Gott. Wozu denn?«
    »Die haben dick aufgetragen. Haben mir erzählt, ich mach meine Sache gut, ich könnte befördert werden: Die wollten mich einwickeln. Dann haben sie gesagt, sie wissen, dass wir gute Freundinnen sind. Nutting hat gefragt, ob du jemals was Ungewöhnliches oder Verdächtiges gesagt hast. Ich hab nein gesagt. Dann wollten sie wissen, worüber wir so reden.«
    »O Gott. Was hast du geantwortet?«
    »Ich hätte sagen sollen, ihr könnt mich mal. Aber dazu war ich zu feige. Es gab ja auch nichts zu verbergen, also hab ich die Wahrheit gesagt: über Musik, Freundinnen, Familie, über früher, Tratsch und Klatsch, nichts Besonderes.« Und mit leisem Vorwurf in der Stimme: »Das hättest du auch getan.«
    »Da bin ich mir nicht sicher.«
    »Wenn ich nichts gesagt hätte, wären sie bloß noch misstrauischer geworden.«
    »Na schön. Und dann?«
    »Tapp hat gefragt, ob wir auch über Politik reden, und [167] ich hab nein gesagt. Er fand das ziemlich unglaubwürdig, und ich sagte, so ist es aber. Das ging eine Weile so hin und her. Dann sagten sie, okay, jetzt hätten sie eine heikle Frage. Aber es sei ganz wichtig, und sie wären mir zutiefst verbunden und so weiter, wenn ich ihnen da behilflich sein könnte, und noch mehr so Zeug, du kennst ja diese schmierige Art, wie die reden.«
    »Ich glaub schon.«
    »Die wollten, dass ich dich in eine politische Diskussion verwickle, ich sollte mich dabei wie eine heimliche Linke aufführen und dich provozieren, um rauszukriegen, wo du stehst, und…«
    »Es denen weitersagen.«
    »Ja. Ich schäme mich. Aber sei nicht sauer. Ich versuche, aufrichtig zu dir zu sein. Und denk dran, immer lächeln.«
    Ich starrte sie an, ihr feistes Gesicht und die Sommersprossen darin. Ich versuchte, sie zu hassen. Fast wäre es mir gelungen. » Du musst lächeln«, sagte ich. »Lügen ist doch deine Spezialität.«
    »Tut mir leid.«
    »Das heißt also, dieses ganze Gespräch… da warst du im Dienst?«
    »Hör zu, Serena, ich habe Heath gewählt. Also, ja, ich war im Dienst, und ich hasse mich selbst dafür.«
    »Das Arbeiterparadies in der Nähe von Leipzig, das war frei erfunden?«
    »Nein, da war ich wirklich mit der Schule. Stinklangweilig. Und ich hatte die ganze Zeit Heimweh, hab geheult wie ein Baby. Aber glaub mir, du hast alles

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