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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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richtig gemacht, immer die richtigen Sachen gesagt.«
    [168] »Und das hast du denen dann berichtet!«
    Sie sah mich bekümmert an und schüttelte den Kopf. »Das ist es ja grade. Nein. Ich bin noch am selben Abend zu denen hin und hab gesagt, ich kann das nicht, ich mach da nicht mit. Ich hab ihnen nicht mal gesagt, dass wir miteinander gesprochen haben. Ich hab gesagt, ich verrate meine Freundin nicht.«
    Ich wandte den Blick ab. Jetzt war ich wirklich verwirrt, denn letztlich wäre es mir lieber gewesen, sie hätte ihnen alles weitererzählt. Aber das konnte ich Shirley nicht sagen. Wir schwiegen eine halbe Minute und tranken unseren Gin. Jetzt war auch der Bassist auf der Bühne, und das Ding auf dem Boden, irgendeine Steckleiste, machte immer noch Schwierigkeiten. Ich sah mich um. Niemand im Pub schaute in unsere Richtung.
    Ich sagte: »Wenn die wissen, dass wir Freundinnen sind, haben sie bestimmt mit der Möglichkeit gerechnet, dass du mir erzählst, was sie von dir verlangen.«
    »Richtig. Die wollen dir damit was sagen. Vielleicht um dich von irgendetwas abzuhalten. Ich bin offen zu dir gewesen. Jetzt bist du dran. Warum interessieren die sich für dich?«
    Ich hatte natürlich keinen Schimmer. Aber ich war wütend auf Shirley. Ich wollte nicht als die Ahnungslose dastehen – nein, mehr noch, ich wollte ihr weismachen, es gebe Dinge, die ich lieber für mich behielt. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob ich ihr überhaupt glauben konnte.
    Ich drehte den Spieß um. »Die haben dich also gefeuert, weil du dich geweigert hast, eine Kollegin zu bespitzeln? Das klingt mir nicht sehr plausibel.«
    [169] Sie suchte lange nach ihren Zigaretten, bot auch mir eine an, gab uns Feuer. Wir bestellten noch zwei Drinks. Ich wollte keinen Gin mehr, war aber so durcheinander, dass mir nichts anderes einfiel. Also noch mal das Gleiche. Ich hatte fast kein Geld mehr.
    »Also«, sagte sie, »darüber möchte ich nicht reden. Jedenfalls war’s das. Karriere beendet. Ich dachte sowieso nie, dass da was draus wird. Ich zieh wieder nach Hause und kümmer mich um meinen Dad. Der ist in letzter Zeit ein bisschen konfus. Ich werd ihm im Laden helfen. Und vielleicht schreib ich sogar was. Aber ich würde echt gern von dir wissen, was da läuft.«
    In einer plötzlichen Gefühlsaufwallung, die die alten Tage unserer Freundschaft beschwor, packte sie den Kragen meiner Baumwolljacke. Sie rüttelte mich wach. »Du bist da in irgendwas reingeraten. Das ist Wahnsinn, Serena. Die sehen aus und klingen wie aufgeblasene Wichtigtuer, und genau das sind sie, aber sie können auch echt böse sein. Da sind sie sogar ziemlich gut drin. Ich sag dir, die sind böse.«
    »Wir werden sehen«, erwiderte ich.
    Ich war verunsichert und völlig ratlos, aber ich wollte sie bestrafen. Sie sollte sich Sorgen um mich machen. Fast hätte ich selbst geglaubt, dass ich wirklich ein Geheimnis hatte.
    »Serena, du kannst es mir sagen.«
    »Zu kompliziert. Und warum sollte ich dir irgendetwas erzählen? Was kannst du schon dran ändern? Du bist genauso ein kleines Licht wie ich. Oder warst es.«
    »Sprichst du mit der anderen Seite?«
    Die Frage schockierte mich. In diesem leichtsinnigen [170] beschwipsten Augenblick wünschte ich mir geradezu, ich hätte einen russischen Führungsoffizier und ein Doppelleben und tote Briefkästen in Hampstead Heath, oder besser noch, ich wäre eine Doppelagentin und könnte nutzlose Wahrheiten und zersetzende Lügen in ein feindliches System einschleusen. Aber wenigstens hatte ich T. H. Haley. Und warum sollten sie mir den geben, wenn ich verdächtig war?
    »Shirley, du bist die andere Seite.«
    Ihre Antwort ging in den ersten Akkorden von Knee Trembler unter, einem unserer Lieblingssongs, doch diesmal hatten wir keine Freude daran. Unser Gespräch war beendet. Patt. Sie wollte mir nicht sagen, warum man sie gefeuert hatte, ich wollte ihr nicht das Geheimnis verraten, das ich nicht hatte. Eine Minute später glitt sie von ihrem Barhocker und ging grußlos und ohne auch nur zu winken. Ich hätte sowieso nicht reagiert. Ich blieb noch eine Weile sitzen, versuchte, das Konzert zu genießen, versuchte, mich zu beruhigen und vernünftig zu denken. Als ich meinen Gin ausgetrunken hatte, trank ich den Rest aus Shirleys Glas. Ich wusste nicht, was mich mehr aufbrachte, meine beste Freundin oder dass meine Arbeitgeber mir nachschnüffelten. Shirleys Verrat war unverzeihlich, der meiner Arbeitgeber beängstigend. Wenn ich unter Verdacht

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