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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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sagte: »Ich dachte, das solltest du wissen.«
    »Ja. Danke.«
    »Wir werden es erst in ein paar Monaten bekanntgeben.«
    »Selbstverständlich.«
    Max stieß den Stapel mit seinen Notizen zurecht. Die unerquickliche Angelegenheit war vom Tisch, jetzt konnten wir weitermachen. Er sagte: »Die Erzählungen, was hältst du wirklich von ihnen? Zum Beispiel die mit den Zwillingsbrüdern.«
    »Die fand ich sehr gut.«
    »Ich fand sie grässlich. Ein Atheist, der so bibelfest ist, das glaube ich nicht. Oder der sich als Vikar verkleidet und eine Predigt hält.«
    »Bruderliebe.«
    »Aber der ist doch zu keinerlei Art von Liebe fähig. Er ist ein Schuft, und schwach noch dazu. Warum sollte man am Schicksal eines solchen Menschen Anteil nehmen?«
    Mir kam es vor, als sprächen wir in Wahrheit über Haley, nicht über Edmund Alfredus. Max’ Tonfall hatte etwas Gezwungenes. Offenbar war es mir gelungen, ihn eifersüchtig zu machen. Ich sagte: »Ich fand ihn sehr attraktiv. Klug, brillanter Redner, Schalk im Nacken, wagemutig. Nur ist er ihr einfach nicht gewachsen – wie heißt sie noch? Jean.«
    [192] »Die fand ich völlig unglaubwürdig. Diese zerstörerischen, männermordenden Frauen gibt es doch nur in der Phantasie einer bestimmten Art von Männern.«
    »Was für Männer denn?«
    »Ach, was weiß ich. Masochistisch. Irgendwie schuldbeladen. Von Selbsthass zerfressen. Vielleicht kannst du es mir sagen, wenn du zurückkommst.« Er stand auf, um unser Gespräch zu beenden. War er wütend? Es blieb mir schleierhaft. Ich fragte mich, ob er auf eine verdrehte Art mir die Schuld dafür gab, dass er heiraten würde. Vielleicht ärgerte er sich aber auch über sich selbst. Oder meine Bemerkung zur arrangierten Ehe hatte ihn gekränkt.
    »Meinst du wirklich, dass Haley der falsche Mann ist?«
    »Das liegt in Nuttings Verantwortung. Seltsam ist nur, dass sie dich nach Brighton schicken. Normalerweise ziehen wir unsere Leute nicht direkt in so etwas rein. Im Normalfall würde man jemanden von der Stiftung hinschicken, wie immer über Mittelmänner operieren. Im Übrigen halte ich die ganze Sache, na ja, egal, das ist nicht mein, hm…«
    Er stützte sich, die Finger gespreizt, auf dem Schreibtisch ab und deutete mit einer kaum merklichen Kopfbewegung zur Tür hinter mir. Ein Rauswurf mit geringstmöglichem Aufwand. Aber für mich war das Gespräch noch nicht zu Ende.
    »Da gibt es noch etwas, Max. Du bist der Einzige, dem ich davon erzählen kann. Ich glaube, ich werde beschattet.«
    »Wirklich? Nicht schlecht für deine Rangstufe.«
    Ich ging über seinen Spott hinweg. »Ich rede nicht von der Moskauer Zentrale. Ich meine die Aufpasser. Jemand ist in meinem Zimmer gewesen.«
    [193] Seit meiner Unterhaltung mit Shirley war ich auf dem Nachhauseweg immer besonders wachsam gewesen, ohne irgendetwas Verdächtiges zu bemerken. Aber ich wusste ja auch nicht, worauf ich achten sollte. Das hatte nicht zu unserer Ausbildung gehört. Meine vagen Vorstellungen stammten aus Filmen, einmal hatte ich auf der Straße plötzlich kehrtgemacht und in Hunderte von Passantengesichtern gespäht. Ein andermal war ich in die U-Bahn ein- und gleich wieder ausgestiegen, mit dem einzigen Ergebnis, dass ich später als sonst in Camden ankam.
    Aber jetzt erreichte ich meinen Zweck, denn Max setzte sich wieder, das Gespräch ging weiter. Seine Miene hatte sich verhärtet, er sah auf einmal älter aus.
    »Woher willst du das wissen?«
    »Na ja, manche Sachen waren nicht an ihrem Platz. Ich schätze, auch die Aufpasser sind mal tollpatschig.«
    Er sah mich unverwandt an. Schon kam ich mir vor wie eine Idiotin.
    »Serena, sei vorsichtig. Wenn du mehr zu wissen vorgibst, als du nach deinen paar Monaten in der Registratur eigentlich wissen kannst, erweckst du einen ganz falschen Eindruck. Seit den Cambridge Three und George Blake sind die Leute nervös und ein bisschen demoralisiert. Sie ziehen allzu voreilige Schlüsse. Hör also auf, so zu tun, als wüsstest du mehr, als du weißt. Weil du dann nämlich am Ende noch tatsächlich beschattet wirst. Mir scheint, genau das ist dein Problem.«
    »Ist das eine Vermutung, oder weißt du davon?«
    »Es ist eine freundschaftliche Warnung.«
    »Also werde ich wirklich beschattet.«
    [194] »Ich bin hier nur eine relativ kleine Nummer. Ich würde als Allerletzter davon erfahren. Man hat uns zusammen gesehen…«
    »Schon länger nicht mehr, Max. Vielleicht war unsere Freundschaft nicht gut für deine

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