Honigkäfer (Käfer-Reihe) (German Edition)
blinzelte zu ihrer vergitterten Zellentür.
"Lucien! Bist du wieder da?"
"Nur ganz kurz", erwiderte er. "Ich hatte ein wichtiges Dokument vergessen. Das werde ich eben holen, denn Victor wartet in einem Gasthaus an der Straße Richtung Marseille auf mich. Morgen früh aber kommen wir wieder." Er schüttelt den Kopf und sah auf ihre sichtlich mitgenommene Gestalt.
"In Anbetracht deiner Lage nehme ich an, die Aussprache verlief nicht zu euer beider Zufriedenheit?"
"Er hat einen neuen Plan", erwiderte Jeanne matt. "Jetzt ignoriert er mich."
"Das ist doch Wahnsinn", sagte Lucien. Er begann, in seinen Taschen zu suchen und zog dann einen Schlüssel hervor. "Hier, das ist der Schlüssel, der in deine Zellentür, sowie in die Tür oben am Ende der Treppe passt." Er schob in durch die Gitter und Jeanne kam schnell auf die Füße, um ihn anzunehmen.
"Sobald ich weg bin, verlässt du die Zelle und gehst zurück ins Haus. Lass ihn toben und sich aufregen und schieb alles auf mich. Wenn du klug bist, versteckst du den Schlüssel hier irgendwo im Stroh, nachdem du die Türen aufgeschlossen hast. Sollte er dich an den Haaren wieder hierher schleifen, dann hast du den Schlüssel noch und er kann ihn an dir nicht finden."
"Danke, Lucien", flüsterte sie.
"Morgen früh sind wir wieder da", versprach er. "Und dann werde ich ihn mir mal zur Brust nehmen. So geht es nicht weiter."
"Danke", murmelte erneut.
Lucien lächelte ihr aufmunternd zu. "Es ist nur noch ein Tag. Das schaffst du. Und morgen machen wir nur das, was dir gefällt."
Sie lächelte dankbar. "Das klingt gut."
Lucien wandte sich zum Gehen. "Leider muss ich mich beeilen. Du hörst mich ja, wenn ich von Hof reite. Danach schließt du einfach auf und gehst in dein Zimmer."
"Ja, das mache ich. Danke und bis morgen, Lucien."
Jeanne lauschte Poseidons Hufen wie sie den Hof verließen und natürlich ging sie nicht in ihr Zimmer, wie Lucien es ihr geraten hatte. Stattdessen machte sie sich auf die Suche nach Balthasar, den Gedanken fest vor sich, ihm seinen Plan ins Gegenteil zu verkehren.
Jeanne hatte bereits das gesamte Haus nach ihm abgesucht, als ihr einfiel, dass als letzte Möglichkeit nur die Küche blieb. Sie lauschte die Treppe hinunter und hätte sich schon fast wieder umgedreht, als ein Geräusch von unten erklang. Jeanne lauschte noch mal. Es war eine leise Melodie. Jemand summte ein Lied und sie hörte das Plätschern von Wasser. Neugierig schlich sie auf Zehenspitzen die Treppe hinunter. Die Tür stand fast zu Hälfte offen und je näher sie kam, desto ungläubiger wurde ihr Gesichtsausdruck.
Vor dem Kamin stand der große Badezuber und eine Gestalt saß darin. Jeanne sah die schwarzen Haare und die breiten Schultern und wusste, dass sie Balthasar gefunden hatte. Wieder summte er ein paar Töne. Jeanne schlich die letzte Stufe hinab und verharrte regungslos im Türrahmen.
Niemals wäre sie auf die Idee gekommen, dass Balthasar die Abwesenheit seiner Brüder für ein ausgiebiges Bad nutzen wurde. Und so wie es aussah, hatte er es gut vorbereitet: Neben dem Zuber lag ein ordentlich gefalteter Stapel weißer Laken, zwei Stücke Seife und seine gefalteten Kleider hatte er auf dem Tisch abgelegt. Eine Flasche Wein stand auf der anderen Seite, doch das Glas dazu schien zu fehlen. Dann streckte sich ein muskulöser Arm aus und stellte ein filigranes Glas geschickt auf dem Steinboden ab. Jeanne lächelte traurig bei diesem Anblick. Er badete, trank Wein dabei und schien mit seiner Situation ziemlich zufrieden. Offenbar fehlte sie ihm überhaupt nicht.
Sie lehnte sich in den Türrahmen, doch als seine Melodie abrupt verstummt, wusste sie, dass ihre Anwesenheit bemerkt worden war. Schnell betrat sie den Raum, damit er auf gar keinen Fall auf die Idee kam, sie könne ihn bereits einige Zeit lang beobachtet haben. Er drehte den Kopf, nicht wirklich alarmiert, denn das Rascheln ihrer Röcke verriet vermutlich, dass es sich keinesfalls um einen männlichen Eindringling handeln konnte.
"Honigkäfer", sagte er dann. "Wie bist du aus dem Kerker gekommen?" Er hielt kurz inne, strich sich dann die Haare nach hinten und zog ein finsteres Gesicht. "Nein, warte. Sag es mir nicht, ich kann es mir denken..."
Jeanne kam neben dem Zuber zum Stehen und sah auf ihn hinunter.
"Dieser verfluchte Kerl...", murmelte Balthasar gerade.
"Ich glaube, er meinte es nur nett", sagte sie.
Er sah argwöhnisch an ihr hinauf. "Du störst. Verschwinde."
Sie ignorierte seine
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