Honigkäfer (Käfer-Reihe) (German Edition)
sich bunte Blütenkelche auf dünnen Stängel dem wolkenlosen blassblauen Himmel entgegen reckten. Jeanne pflückte ein paar davon im Vorbeigehen und flocht sie zu einer Krone, so wie sie es als kleines Mädchen oft getan hatte. Dann setzte sie sich auf ihre Haare. Balthasar lachte leise, als er es bemerkte, dann strich er ihr ein abgefallenes Blütenblatt von ihrer Schulter.
"Ein vergänglicher Schmuck", sagte er. "Und kaum der Mühe wert."
"Es geht um den Augenblick", erwiderte sie. "Erinnerst du dich an unser Gespräch über die kostbaren Momente des Lebens?"
Balthasar nickte.
"Gefällt es dir?", fragte sie ihn, drehte sich zu ihm und deute auf die Blüten in ihren Haaren.
"Ja."
"Dann war es die Mühe wert, verstehst du? Den einen Augenblick, in dem du mich angesehen hast und ich in deinen Augen sehen konnte, dass dir gefällt, was du siehst, für diesen kurzen Wimpernschlag, das Aufblitzen deines Gefallens, all das und doch nicht mehr....das war es Wert."
Balthasar holte tief Luft und sah sie dann lange an. Fast etwas unbehaglich begann Jeanne mit den Stengeln in ihren Haare zu spielen. Sein Blick war so ernst, so nachdenklich. Fast fürchtete sie, er würde wieder umkehren wollen.
"Ist alles in Ordnung?", fragte sie schließlich, weil sie sein Schweigen nicht mehr aushielt.
"Ja." Seine Stimme klang abwesend, als er sprach. "Ich habe nur einfach vergessen, wie es ist."
"Vergessen, wie was ist?"
Er zog sie wieder zu sich, legte den Arm wieder zurück um ihre Schultern und spazierte mit ihr weiter. "Na das hier..." Seine freie Hand streckte sich aus und glitt über ein paar hochstehende Halme. "Und das hier..." Er neigte den Kopf und hauchte einen Kuss auf ihren Hals. "Und das hier." Er tippte auf die Blütenkrone in ihrem Haar. "Ich habe einfach vergessen, wie es ist, zu leben."
"Warum?", fragte sie leise, betroffen über die Traurigkeit in seiner Stimme.
"Wir wohnen hier sehr isoliert, weit weg von der nächsten Straße, dem nächsten Dorf und irgendwann tendiert man einfach dazu, zum Einsiedler zu mutieren."
Jeanne lauschte seinen vorgebrachten Gründen, doch sie spürte, dass dies nicht die ganze Wahrheit war. Sie wusste, dass die Brüder regelmäßig zu den Märkten der umliegenden Dörfer ritten, um Lebensmittel zu kaufen. Sie hatte mitbekommen, dass sie geschäftliche Termine hatte. Worum es ging wusste sie nicht, doch erst jetzt waren Lucien und Victor unterwegs und dort würden sie definitiv anderen Menschen begegnen. Sie kamen in dieser einen Woche mehr herum, als Jeanne in ihrem ganzen Leben und er bezeichnete sich als Einsiedler? Jeanne überlegte, ihn darauf hinzuweisen, doch dann entschloss sie sich dagegen. Sie kannten sich erst so kurze Zeit und obwohl ihre Gefühle für ihn unbeirrlich und tief waren, kam sie nicht herum, sich einzugestehen, dass sie kaum etwas über ihn wusste. Sicherlich war die Zeit daran Schuld und es würde sich zeigen, ob er in Zukunft bereit wäre mehrüber sich Preis zu geben. Doch zunächst würde Jeanne sich damit begnügen, nicht weitere Fragen zu stellen, die ein Thema streiften, über das er freiwillig nicht alles erzählen wollte.
Schweigend gingen sie nebeneinander her. Sie hatte gehofft, er würde vielleicht noch ein wenig mehr über sich preisgeben, doch das tat er nicht. Er hielt sie im Arm, seine Finger streichelten sie, während sich ihre Körper eng im Gehen aneinander schmiegten.
Schließlich erreichten sie die Spitze des Hügels und der Baum ragte hoch vor ihnen auf. Seine vielen kleinen Blätter raschelten, obwohl kein Wind zu spüren war.
"Du meine Güte..", murmelte Jeanne ehrfürchtig. "Er ist wirklich beeindruckend!"
Balthasar legte seine flache Hand an den borkigen Stamm. "Der Baum ist fast so alt wie..." Er brach ab, so als hätte er gleich etwas Unüberlegtes gesagt. "....wie das Haus", beendete er dann seinen Satz.
Jeanne stellte sich neben ihn und ließ ihre Finger über die knorrige Rinde gleiten. "Was er wohl schon alles gesehen hat...?"
Balthasar seufzte leise, dann glitt sein Blick zu ihr. "Eine ganze Menge, das glaube mir." Er nahm ihre Hand, zog sie sanft mit sich und gemeinsam umrundeten sie den dicken Stamm ein Mal komplett. Seine großen Wurzeln hatten sich wie biegsame Finger in die Erde gegraben und das Moos, das auf ihnen wuchs, schimmerte matt wie Samt, wenn das Licht durch die dichte Krone fiel. Das Blattwerk schien so dicht, das selbst die Luft hier etwas kälter war. Jeanne fröstelte leicht. Sie übernahm die
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