Honigkäfer (Käfer-Reihe) (German Edition)
"freundlich". Und dafür würde er sie nur noch mehr hassen.
"Honigkäfer...", flüsterte Lucien. "Bitte, hör auf zu weinen. Das ist Balthasar Art, er ist immer so ... distanziert. Und wenn man ihn nicht kennt, denkt man, er könnte einen nicht ausstehen, aber das stimmt nicht. Er lässt nur einfach niemanden an sich heran."
Bei seinen letzten Worten begannen Jeannes Schultern noch heftiger zu beben.
"Um Himmels Willen...", flüsterte Lucien. "Du zitterst ja!" Er schob sie ein Stück von sich und sah ihr forschend in das Gesicht. "Hat er dir etwas getan? Hast du Angst vor ihm? Weinst du deshalb so sehr?"
Jeannes Unterlippe bebte und ihre Nase begann zu laufen. Lucien zog ein Taschentuch hervor und tupfte erst die Tränen ab, dann wischte er ihr wie einem kleinen Kind über die Nase. Sein Blick war mittlerweile nicht mehr besorgt, er sah regelrecht alarmiert aus.
"Sprich mit mir...", bat er. "Wieso brichst du bei seinem Anblick regelrecht in Panik aus?"
Jeanne schüttelte abwehrend den Kopf. Lucien strich ihr beruhigend über das Haar.
"Er wird mich hassen", wiederholte sie.
"Nein", widersprach Lucien energisch. "Du hast nichts falsch gemacht! Was macht dir so eine Angst?"
Wieder schüttelte sie den Kopf. Sie konnte mit Lucien nicht über ihre Gefühle für Balthasar sprechen. Und erst recht nicht, konnte sie ihm sagen, was sein Bruder für sie empfand. Was sie in seinen Augen gesehen hatte, was sie in seinen Küssen geschmeckt hatte und was sie spürte, wenn er sie so festhielt, als wolle er sie nie wieder loslassen.
"Er wird mich hassen."
Lucien zog sie zurück in seine Arme, wohl auch, weil er einsah, dass er sie mit Worten nicht beruhigen konnte. Aus Jeannes Augen kullerten immer noch Tränen, doch je länger er sie festhielt, sie streichelte und beruhigte, desto mehr versiegten sie langsam
"Geht es wieder?", flüsterte er dann.
Sie nickte an seiner Schulter. Was sie nun brauchte, war etwas Ruhe, um über ihre Situation nachzudenken. Um zu überlegen, wie sie Balthasar alles erklären konnte. Und ihn gleichzeitig dazu bringen könnte, ihr zu verraten, warum er sie mit seinem Bruder teilte, wenn es ihn doch schier zu zerreißen drohte, wenn er sie zusammen sah.
Lucien legte zwei Finger unter ihr Kinn und hob so sanft ihren Kopf an.
"Vielleicht ist es das Beste, du legst dich heute früh schlafen. Du scheinst noch ein wenig durcheinander wegen...." Er suchte nach den richtigen Worten. "...wegen uns. Aber das gibt sich, glaub mir. Und dann ist es gar nicht so schrecklich. Selbst mit Balthasar nicht." Er half ihr von dem Tisch hinunter und hakte dann ihren Arm fürsorglich unter seinen. "Mein Bruder hat dir sicher schon dein Zimmer zugewiesen, oder?"
Sie nickte, bemüht darum, ihm keinen Hinweis auf die leidenschaftlichen Gefühle, die sie dort erlebt hatte, auf ihrem Gesicht aufblitzen zu lassen.
"Ich bringe dich dort hin und du ruhst dich etwas aus...", murmelte er. Jeanne überlegte, ob sie ihm von den angsteinflößenden Gestalten erzählen sollte, die sie in ihrem Traum dort gesehen hatte. Doch dann entschied sie sich dagegen. Er würde vermutlich Fragen stellen und sie würde sich mehr und mehr in eine dumme Geistergeschichte verstricken, deren Glaubwürdigkeit doch eher zweifelhaft war. Und vielleicht war es doch nichts weiter als ein Traum gewesen.
Sie ließ sich von Lucien zu dem Raum begleiten. Sie verabschiedete sich von ihm an der Tür, weil sie nicht wollte, dass er ihre Angst sah. Mit klopfendem Herzen trat sie über die Schwelle, doch als sie den Raum betrat, schien er ihr nicht mehr ganz so unheimlich wie in der Nacht zu vor. Langsam ließ sie sich auf dem Bett nieder. Das Zimmer könnte eigentlich ganz gemütlich sein, wenn diese unheimliche Stimmung, die es auszuatmen schien, nicht gewesen wäre. Zuerst meinte sie, Geräusche zu hören, ein Kratzen in den Wänden und ein hastiges Rascheln in den Vorhängen. Doch dann lauschte sie nochmal, konzentrierte sich und konnte nichts Unheimliches ausmachen.
Das Einzige, was sie wahrnahm, war das drohende Herannahen von Stiefeln auf dem Flur und die heulenden Sturmböen eines Gewitters, das über ihnen tobte, seit sie die Küche verlassen hatten. Jeanne ahnte nichts Gutes und fühlte sich in ihrer Vermutung bestätigt, als die Tür aufgestoßen wurde und Balthasar in das Zimmer stürmte. Im Nu war er vor ihr, zog sie grob von dem Bett hoch und schleifte sie hinaus auf den Flur. Ihren empörten Protest ignorierte er einfach, stattdessen
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