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Honigmilch

Honigmilch

Titel: Honigmilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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denn da?«, entgegnete Sepp. »Die Annabel und die Irina waren Hiesige samt Arbeitsplatz und Ausweispapier. Mit Hiesigen handeln die nicht.«
    »Dann waren es halt die Schlepper«, insistierte Rudi. »Die Mädel sind ihnen auf eine Tour gekommen, da haben sie zugeschlagen.«
    Nun meldete sich zum ersten Mal der zweite Zollfahnder zu Wort. Er trug eine Wollmütze, obwohl die Temperatur in der Hütte inzwischen bei gut fünfundzwanzig Grad lag.
    »Schmarrn«, sagte er, »kein Schlepper führt heutzutage mehr seinen Trupp auf Schleichwegen über die grüne Grenze. Die transportieren ihre Kunden im Lkw geradewegs am Zollhaus vorbei ins Land, in Furth im Wald, in Eisenstein oder in Philippsreuth.«
    »Ich glaub nicht, dass alle Schlepper so dreist vorgehen«, warf sein Kollege ein. »Ich denke mir, dass viele ihre Fracht vor der Grenze abladen, die Leute ein Stück zu Fuß gehen lassen und sie dann wieder auflesen.«
    »Grad so meine ich das«, nickte Wollmütze beifällig. »Der Schlepper schickt seine Schützlinge auf dem kürzesten Weg über die Grenze. In Böhmisch Eisenstein lässt er sie aussteigen, und in Bayrisch Eisenstein lädt er sie wieder auf. Das heißt, er kommt mit ihnen nicht mal in die Nähe von Zwiesler Waldhaus, geschweige denn auf den Falkenstein.«
    »Dann halt …«, begann Rudi.
    Fanni fragte sich, warum Rudi Erklärungen für den Tod der beiden Mädchen ins Feld führte, die offensichtlich so dumm waren, dass nicht einmal seine Stammtischbrüder sie widerspruchslos hinnehmen konnten. Wollte er dem »Kriminaler« Sand in die Augen streuen?
    »Ich glaub sowieso nicht an Mord und Totschlag«, sagte Rudi jetzt. »Ganz gewiss verhält es sich genauso, wie ich von Anfang an gesagt hab: Die Annabel ist auf dem Stein rumgeturnt, abgerutscht und – knacks. Sie hat sich ja öfter mal überschätzt.«
    Die anderen schwiegen. Doc Haller nahm seine Brille ab, putzte sie versonnen, setzte sie wieder auf und sagte dann: »Die Annabel war ein reizendes Mädel – und klug.«
    »Ein Satansbraten war sie«, konterte Rudi.
    Fanni sah Sprudel an und rollte mit den Augen.
    »Heide, eine Runde Schnaps auf die Annabel«, rief Max.
    Fanni stand auf und machte sich auf den Weg zur Toilette. Der Boden unter ihr schwankte leicht.
    Wie viele Schnäpse hattest du denn schon, Fanni Rot?
    Auf dem Rückweg zur Gaststube – Fanni fröstelte, weil es auf dem Klo so kalt gewesen war – sah sie Doc Haller mit Heide in dem kleinen Vorraum stehen, der den Eingangsbereich von der Gaststube trennte. Die beiden unterhielten sich leise, dann reichte der Doc Heide ein Fläschchen und ging wieder zum Stammtisch zurück. Heide drehte sich in die andere Richtung und fand sich Fanni gegenüber.
    Sie stutzte, lächelte aber plötzlich, hielt das Fläschchen auf Augenhöhe und klopfte mit dem Zeigerfinger darauf.
    »Unsern Doc, wenn wir den nicht hätten«, sagte sie. »Mit seinen Kräutersäften kuriert er schier alles. Ich habe mir vergangenes Jahr eine böse Blasenentzündung eingefangen. Furchtbar! Ständig hast du das Gefühl, du müsstest pinkeln, und dann kommt nichts – nur Brennen und Stechen und Pochen.«
    Fanni nickte mitfühlend.
    »Ich bin zu meinem Hausarzt«, fuhr Heide fort, »und der hat mir Antibiotika verschrieben. Die haben zwar geholfen, aber alle zwei, drei Monate fängt es beim Pinkeln wieder an zu brennen. Und dagegen hilft am besten das, was der Doc braut. Wie ein Wundermittel hilft es. Genauso wie es beim Sepp gegen seine eitrigen Mandeln hilft und beim Rudi gegen den Dünnpfiff.«
    »Heide!« Die Stimme gehörte zu Max. »Wo bleibt denn der Schnaps?«
    Krankheiten über Krankheiten, dachte Fanni. Dabei heißt es doch immer, die Luft im Bayerischen Wald sei so gesund!
    Sie kehrte an ihren Platz am Stammtisch zurück. Bergwacht-Rudi erzählte einen Blondinenwitz. Fanni neigte sich dem Doc zu und fragte leise: »Was halten Sie denn von den Todesfällen und von den ungewöhnlichen Infektionen, unter denen die Mädchen litten?«
    Der Doc nahm die Brille ab und blinzelte sie an. »Glauben Sie mir, Frau Rot, ich tue, was ich kann. Aber meine Freunde hier sind alle so unvernünftig. Nehmen Sie unsere Heide als Beispiel. Nie trägt sie Strümpfe. Sehen Sie ihre nackten Zehen in den Sandalen? So läuft sie von früh bis spät herum. Hier auf dem kalten Steinboden, der kein bisschen isoliert ist. Was würden Sie denn machen, wenn Sie Heides Blase wären?«
    »Streiken«, murmelte Fanni folgsam.
    »Sehen Sie«, nickte Doc

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