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Honigmilch

Honigmilch

Titel: Honigmilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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Sprudels Argument klang logisch. Wenn Rudi die Kamera des Passauers gefunden hätte, dachte sie, wenn er sogar Schuld an Irinas Tod hätte, dann müsste er verrückt sein, durch dieses blaue Band auf sich aufmerksam zu machen. Und Bergwacht-Sepp müsste noch verrückter sein, ihn zu decken.
    »Aber«, sagte sie zu Sprudel, »kann es denn sein, dass Rudi dieses Band aus der Nische in der Kapelle genommen, es an seine Kamera gemacht und nicht einen Augenblick lang mit der Toten im Höllbachgspreng in Verbindung gebracht hat?«
    »Unser Rudi ist halt einfach gestrickt«, schmunzelte Sprudel, wurde aber schnell wieder ernst. »Irina ist vor zehn Tagen gestorben. Ich wette, keiner erinnert sich mehr daran, dass sie der Nationalparkranger nur deshalb entdeckt hat, weil er nach einer Kamera an einem blauen Riemen suchte.«
    Er hat recht, dachte Fanni. Aber wie kam das Band in die Kapelle?
    »Nehmen wir mal an«, begann sie zögernd, »nachdem Irina in den Tod gestürzt war, hat derjenige, der sie in ihr Unglück jagte, den Fotoapparat liegen sehen und mitgenommen. Er beschloss, die Kamera zu behalten, warum auch nicht, es sieht ja eine wie die andere aus. Nur das Band wollte er loswerden, es schien ihm zu auffällig. Warum hat er es nicht in den Höllbach geworfen?«
    »Vielleicht«, antwortete Sprudel, »brauchte er eine Zange oder etwas Ähnliches, um den Karabiner zu öffnen, mit dem der Riemen an der Kamera befestigt war.«
    »Karabiner besitzen Schnapp- oder Schraubverschlüsse«, sagte Fanni, »wozu wäre eine Zange nötig gewesen?«
    »Der Karabiner, der an Rudis blauem Riemen hängt, war ursprünglich verbogen«, antwortete Sprudel. »Ich konnte gut erkennen, dass jemand das Metall zurechtgeklopft hatte, um ihn wieder einwandfrei zuklicken zu können.«
    »Unser …«, Fanni zögerte, »Täter«, sagte sie dann, »benötigte also eine Zange, damit er das blaue Band loswerden konnte, und nach einer solchen suchte er ausgerechnet in der Kapelle.« Sie sprach nicht aus, was sie dabei dachte: Sprudel, du hast nicht alle Tassen im Schrank.
    Er grinste breit (hatte sie laut gedacht?), zog sie vom Stein hoch und durch den Eingang der Kapelle. Dort wandte er sich nach rechts, klappte den Deckel eines Kästchens hoch, das an der Wand hing, und trat zur Seite, sodass Fanni hineinsehen konnte.
    Hammer, Nägel, drei Zangen, Schere, Bindfaden und ein Messer lagen durcheinandergewürfelt in der Box.
    »Purer Zufallsfund aus reiner Neugier«, sagte Sprudel. »Ich habe mich neulich in der Kapelle ein wenig umgeschaut, und dabei ist mir das Kästchen aufgefallen. Ganz automatisch hat sich meine Hand hinbewegt und den Deckel geöffnet.«
    »Automatisch«, wiederholte Fanni. »Aber du hast recht. Jeder könnte wissen, dass hier Werkzeug bereitliegt.«
    »Jeder könnte es wissen«, bestätigte Sprudel, »aber ganz sicher wissen es diejenigen, die schier täglich hierherkommen.«
    »Wodurch die Spur wieder zu den Stammtischbrüdern führt«, folgerte Fanni.
    »Ich finde«, sagte Sprudel, »wir haben uns ein Stück Kuchen und eine Tasse Kaffee verdient.« Er klappte den Deckel des Werkzeugkästchens zu, nahm Fanni an der Hand und steuerte aus der Kapelle hinaus auf die Falkenstein-Schutzhütte zu.
     
    Irgendetwas war anders als sonst. Fanni brauchte einen Moment, bis sie dahinterkam, was.
    Heide stand mit ihrer Zigarette heute nicht unter dem Vordach der Schutzhütte, sondern lehnte gut zehn Meter weit entfernt an einer Fichte. Sie sog und paffte und stieß Rauchwölkchen durch die Nase aus wie Grisu, der kleine Drache.
    Als Fanni und Sprudel durch die Eingangstür traten, schlug ihnen ein säuerlicher Geruch entgegen. Im Flur, auf Höhe der Toiletten, wurde der Gestank so penetrant, dass Fanni die Luft anhielt. Aus der Männerkammer drang leises Stöhnen.
    Sprudel beschleunigte seine Schritte, und einen Augenblick später befanden sie sich in der Gaststube. Am Stammtisch saß Max. Alle anderen Tische waren leer. Doc Haller schnürte soeben seinen Rucksack zu. Offensichtlich wollte er gerade gehen.
    Max stöhnte. Seine Gesichtsfarbe vermittelte den Eindruck, als könne sie sich nicht zwischen Grün und Grau entscheiden.
    »Ist ihm nicht gut?«, fragte Sprudel den Doc.
    Der schüttelte zuerst den Kopf, dann nickte er. »Dem Max ist schlecht, weil er fürchtet, seine Gäste vergiftet zu haben.« Da ihn Fanni und Sprudel nur verständnislos anstarrten, sprach er weiter: »Bis vor einer Viertelstunde war alles ganz normal. Die Leute haben

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