Honigsüßer Tod
blickte sich um. Er sah weder eine große Kuckucksuhr noch
Bilder an den Wänden, weder einen rustikalen Holztisch noch Hirschgeweihe oder
was immer man sonst als Städter in solch einem Gehöft erwarten mochte. Dafür
stand in der Mitte des Raumes ein großer Schwarzwald-typischer Kachelofen.
Auch gab es das obligatorische Kruzifix im Herrgottswinkel. Es war
allerdings nicht das einzige religiöse Symbol, und Hubertus fühlte sich an sein
Zuhause erinnert. Auch dort musste sich der christliche Erlöser den Platz mit
diversen Statuen teilen, die ostasiatischen Ursprungs zu sein schienen. Eine
Art Buddha glaubte Hubertus zu erkennen, die anderen Herrschaften waren ihm
hingegen fremd.
Besonders beeindruckend war die stattliche weiße Statue eines Mannes
mit Brille und langen, gewellten Haaren. Er schien im Gegensatz zu den anderen
Religionsstiftern dem 20. oder gar dem 21. Jahrhundert zu entstammen. Denn Jesus hatte wohl
genauso wenig wie Buddha eine Sehhilfe benötigt.
Auch die Dame, die an einer unpassend wirkenden weißen Bücherwand
herumwerkelte, weigerte sich, Bollenhut-Romantik auszustrahlen. Sie sah aus,
als hätte sie sich die Garderobe von Brindur geliehen. Auch weiß. Sehr weiß.
Nur ihr Haar war kastanienbraun, und sie musste etwa in Elkes Alter sein.
»Bist du ein Gast? Ein Suchender?«, fragte sie Hubertus sanft.
Wie man’s nahm. »Ein hungriger Gast«, ergänzte er und beschloss,
zunächst nicht durch unbotmäßige Aggressivität aufzufallen. »Und auf der Suche
bin ich schon – nach einem guten Essen.«
»Wir freuen uns«, sagte die Dame. Das einzig Bunte an ihr war eine
Kette aus Steinen, die sie sich mehrfach um den Hals gewickelt hatte. Der
Portier kramte derweil in irgendwelchen Unterlagen.
»Unser Restaurant ist nebenan.« Sie wies auf die Tür am Rand der
Eingangshalle. »Dort findest du auch alle Informationen über unseren Orden.«
Orden? Hatte sie wirklich Orden gesagt? Nachdem er seine
Priesterlaufbahn vor 25 Jahren in den Sand gesetzt
hatte, liebäugelte jetzt Elke mit einem Orden?
Dann klingelte es in seinem Kopf. Orden. Atrium Lucis. Sonnenhof.
Irgendetwas daran kam ihm bekannt vor. Und dann das viele Weiß. Von diesen
Leuten hatte er schon mal gehört. Er würde sich gleich nebenan informieren.
Direkt nach dem Schinken-Essen.
Hubertus verabschiedete sich von der freundlichen Dame. Und das tat
auch sein Magen. Er knurrte.
Wer das Restaurant »Ahimsa« besuchen wollte, musste durch
den Sekten-eigenen Laden. Dort gab es den viel gepriesenen Honig, Kettchen,
Anstecker, Hefte – allerdings kaum etwas von den üblichen
Schwarzwald-Devotionalien. Sonnen-Motive dominierten. Auf den ebenfalls
käuflich zu erwerbenden Statuen und Büchern wiederholte sich ein Name: Lucidus.
Hubertus wusste, dass der Schwarzwald innerhalb der letzten
Jahrzehnte wohl aufgrund seiner Abgeschiedenheit und der Mystik, die ihn umgab,
zur Heimstatt zahlreicher religiöser Sekten geworden war. Keine Chance, sich
die alle zu merken. Über diese Gruppierung hier hatte er vor einiger Zeit
jedenfalls mal etwas gelesen. Er erinnerte sich nicht genau – lediglich das
Weiß kam ihm sehr bekannt vor.
»Liberi Solis. Orden der Kinder der Sonne«, stand auf dem bislang
größten Schild.
Ja, das passte: Definitiv wollte Elke hier meditieren.
Er ignorierte zunächst die Schriften und folgte dem Kampfruf seines
Magens. Allerdings erlebte er eine ziemlich herbe Enttäuschung: Es handelte
sich um ein vegetarisches Restaurant. Noch dazu um eines, in dem es
ausschließlich Rohkost gab, wie ihn eine freundliche, wiederum weiß gekleidete
Kellnerin aufklärte. Ihre langen schwarzen Haare bildeten einen wirkungsvollen
Kontrast zu ihrem Outfit. Sie mochte knappe 30 sein
und sah aus wie eine Studentin im fortgeschrittenen Semester oder eine der
Referendarinnen an seiner Schule.
Auch von hier aus konnte man durch das Glasdach bis in den Himmel
sehen. Acht Tische gab es in dem Lokal, drei waren besetzt. Leider nicht mit
Elke, sondern mit Touristen, die sich Salat, Früchte sowie reichlich
Rohmilchkäse schmecken ließen.
Hubertus war sich sicher, dass dies seinen Magen nicht
zufriedenstellen würde. »Ich bin hier doch im Schwarzwald«, sagte er zu der
milde lächelnden Kellnerin, die hier bestimmt nicht Kellnerin hieß. »Haben Sie
denn keinen Schwarzwälder Schinken?«
Sie schüttelte nachsichtig den Kopf. »Das steht dem Menschen nicht
zu«, erklärte sie. Außerdem habe Rohkost den Vorteil, dass die Enzyme und
Vitamine
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