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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
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sie kam nicht von der Stelle, als würde sie unter Wasser laufen. Ein unsanftes Rütteln riss sie aus ihrem absurden Tagtraum.
    Ein Stau in der Gegenrichtung hatte den Chauffeur in ein waghalsiges Manöver gezwungen. Er konnte den Zusammenstoß nur vermeiden, indem er auf den engen Bürgersteig auswich. Deborah wartete auf das unangenehme Geräusch, das entsteht, wenn Wagenblech an einer Hausmauer entlangschrammt, doch es blieb erstaunlicherweise aus. Zwischen Wagen und Hauswand hatte jedoch kein Notenblatt mehr Platz.
    Aus Richtung des Stadtteils Podgórze kamen ihnen mehrere offene Lastwagen entgegen, vollbeladen mit zusammengepferchten Menschen - ausschließlich Frauen und Kinder. Eskortiert wurden sie von schwer bewaffneten Männern, vornehmlich SS-Polizei-Einheiten und einem kleinen Trupp polnischer Polizisten.
    Deborah war sofort hellwach und ihr Herzschlag beschleunigte sich, als die Verzweiflung und Mutlosigkeit dieser armen Menschen wie eine Welle über ihr zusammenschlug. Sie hatte ihre gelben Armbinden mit dem Davidstern entdeckt und wusste, was sie zu bedeuten hatten. Ihre Mutter hatte es ihr einst erklärt.
    Sie richtete sich auf, um besser sehen zu können. Auf ihrer Seite konnte sie wegen der nahen Hausmauer nicht aussteigen. „Wohin werden alle diese Leute gebracht?“, fragte sie Marlene aufgeregt. Bei sich dachte sie: Vielleicht konnte Albrecht später etwas für diese armen Menschen ausrichten.
    „Oh, die kommen in ein Arbeitslager. Das sind alles Verbrecher, ma Chérie“, erwiderte Marlene leichthin und zückte ihren silbernen Taschenspiegel. Für die Abtransportierten hatte sie nicht einen Blick übrig. Stattdessen feuchtete sie ihren Zeigefinger an und strich damit über ihre perfekt gezupften Brauen. „Wirklich lästig, dass uns niemand Bescheid gesagt hat, dass heute auf den Straßen so viel los sein wird. Hugo, bitte bringen Sie uns auf dem schnellsten Weg zurück in die Altstadt, in das Café Cyganeria. Nach dem Anblick so vieler schmutziger Menschen benötige ich ein Glas Champagner.“
    „Wie Sie wünschen, gnädige Frau.“
     
    * * * * *
     
    Das Cyganeria in der Szpitalna Straße, nicht weit vom Stadtteil Kazimierz, lag inmitten einer langen Reihe von Häusern, die größtenteils im 19. Jahrhundert oder noch früher erbaut worden waren. Die Szpitalna war einmal eine belebte jüdische Straße gewesen, hauptsächlich bevölkert von Schülern und Studenten, die in den ansässigen Antiquariaten ihre Schulbücher umgetauscht hatten, aber auch viele Handwerksläden wie Schusterwerkstätten hatten hier ihre Heimat.
    Das Café befand sich im Erdgeschoss des Roten Hauses. Allerdings wurde es nicht wegen einer etwaigen politischen Gesinnung rotes Haus genannt, sondern wegen seiner rot gestrichenen Fassade. Der Zutritt zum Café war ausschließlich der deutschen Elite und ihren Verbündeten vorbehalten. Es herrschte dort das übliche, rauchgeschwängerte Gedränge und alle Plätze waren belegt.
    Bei ihrer Ankunft räumten jedoch zwei Wehrmachtsoffiziere für die beiden schönen Damen bereitwillig ihren Tisch im hinteren Bereich des Lokals. Ohne Deborah nach ihren Wünschen zu fragen, bestellte Marlene zwei Glas Champagner. Dann ließ sie sich von ihrem Tischnachbarn, einem langweiligen Nichts in grauer Uniform, mit großer Geste eine Zigarettenspitze anzünden und paffte blaue Rauchkringel in die Luft.
    Marlenes kapriziöse Erscheinung mit dem kleinen Hut, der schief auf ihrem blonden Pagenkopf thronte, und dem taillierten Kostüm nach neuester Pariser Mode von Mademoiselle Chanel, erregte Aufsehen. Sie sonnte sich in den Blicken der anwesenden Herren, bemerkte aber schnell, dass die exotische Schönheit ihrer Begleitung kaum weniger, wenn nicht sogar mehr Aufmerksamkeit auf sich zog.
    Munter plauderte Marlene drauflos: Über die Vorzüge ihres Geliebten Ernst, bei dem sie sich aber nur kurz aufhielt, über die besten Modegeschäfte in Krakau - was eine viel längere Liste ergab -, wie sehr sie die unvergleichliche Mademoiselle Chanel verehrte, die sie schon einmal persönlich in Paris getroffen hatte und dass sie - selbstverständlich nach dem Endsieg - ein großer Filmstar werden würde. Für eine Weile genoss Deborah das Interesse, das sie und Marlene ringsherum bei den zumeist männlichen Gästen hervorriefen. Das ging so weit, dass sie anfing, das gezierte Gebaren Marlenes unbewusst zu übernehmen und zu imitieren.
    Die meisten der Anwesenden waren natürlich Offiziere in Uniform, aber

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