Honigtot (German Edition)
niemals von ihnen gehört hast. Andererseits, es ist sicherlich kein Vorgang, den man jungen Mädchen schildern sollte.“
„Osman kann singen?“, fragte Deborah aufgeregt und ihre Augen leuchteten vor Freude.
„Früher schon. Jetzt nicht mehr.“
„Aber warum nicht? Wir könnten ein Duett versuchen. Bitte, darf ich?“ Sie klang eifrig wie ein kleines Mädchen.
„Osman kann nicht mehr singen, Maria. Ihm fehlt dazu die Zunge.“
„Die Zunge? Aber wie kann ihm denn die Zunge fehlen?“
„Weil mein Vater sie ihm herausgeschnitten hat.“
„Er hat was? Aber … warum in Gottes Namen sollte er so etwas getan haben?“ Deborahs Miene drückte absolute Fassungslosigkeit aus.
„Weil er zu viel gesungen hat.“ Albrecht sagte es beiläufig, als wäre eine solche Handlung völlig normal.
Osman gab dazu einen Laut von sich - einen Hauch nur und so leise, dass allein Deborahs empfindsames Gehör ihn hatte wahrnehmen können - doch lag darin sämtlicher Schmerz und alle Sehnsucht einer betrogenen Seele. Deborahs Herz flog ihm zu und sie litt mit ihm.
„Vielleicht hätte deine Mutter diesen fremdländischen Fürsten heiraten sollen. Anstatt deinen Vater“, sagte sie jetzt böse.
„Das hätte sie sogar beinahe. Aber dann hat sie herausgefunden, dass dieser Kalif bereits über drei Ehefrauen und eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Nebenfrauen verfügte.“
Deborah begriff, dass Albrecht diese Geschichte schon des Öfteren und immer mit gutem Erfolg zum Besten gegeben hatte. Albrecht streckte sich jetzt, so gut es im Wagen ging, und gähnte ausgiebig. Dank Deborahs Eifer im Bett mangelte es ihm in den letzten Wochen an Schlaf.
Auch Deborah spürte, wie Müdigkeit sie überkam. Lange Autofahrten hatte schon immer diese Wirkung auf sie ausgeübt. Gerade noch wütend, unterlag sie erneut einer ihrer jähen Stimmungsschwankungen. Sie fühlte sich plötzlich zu träge, um zu streiten, und schloss die Augen.
In den Fond des Wagens gekuschelt, verschlief sie die lieblichen grünen Felder der vorbeiziehenden Landschaft und den ruhigen Rhythmus des Regens, der kurze Zeit später eingesetzt hatte. Sie erwachte erst wieder, als sie in Krakau vor dem imposanten Grand Hotel in der Slawkowskaja vorfuhren. Es lag mitten im Herzen der historischen Altstadt Krakaus, von der viele behaupteten, sie sei eine der schönsten Europas.
Deborah hatte inzwischen die Rolle einer Dame von Welt verinnerlicht und nahm den neuerlichen Luxus dieses Fünf-Sterne-Hotels mit größter Selbstverständlichkeit hin. Dass das Grand Hotel in früheren Zeiten einmal ein mittelalterlicher Palast gewesen war, davon zeugten bis heute die eindrucksvollen meterdicken Mauern, die historische Einrichtung sowie unzählige Kamine.
Während zwei Dienstmädchen des Hotels Deborahs umfangreiche Garderobe auspackten und Albrecht einige Telefonate erledigte, spazierte Deborah, nach kurzer Erkundung ihrer Suite, alleine durch das Hotel. Im sogenannten Spiegelsaal fand sie das Gesuchte: Den Konzertflügel, der in keinem gehobenen Hotel fehlen durfte. Es gab auch ein Wiener Café und eine Cafébar Strauss, und Deborah fühlte sich fast schon heimisch.
Gleich am ersten Abend fand im Spiegelsaal des Hotels ein opulentes Galaessen statt. Zum ersten Mal begegneten Deborah SS-Kameraden von Albrecht, unter anderem Richard Wendler, den ihr Albrecht als den neuernannten Gouverneur von Krakau vorstellte, und der große, massige Kommandant von Plaszow, Amon Göth, einen gebürtigen Österreicher aus Wien. Albrecht stellte sie ihnen als die Sängerin Maria Malpran vor.
Deborah wunderte sich im Laufe des Abends, wie trinkfest die männlichen Teilnehmer schienen - ebenso wie die wenigen anwesenden Damen, die bald kicherten und sich in Deborahs Augen ziemlich albern benahmen. Sie selbst nippte nur am Champagner. Alkohol bekam ihr leider nicht besonders und sie büßte den kurzen Genuss jedes Mal mit Kopfschmerzen. Sie hielt dies für keinen guten Tausch und verzichtete daher gerne darauf.
Je später die Stunde, um so lauter wurde der Tisch und umso verfehlter am Platz kam sich Deborah vor. Sie verspürte daher mehr als nur Erleichterung, als sich Albrecht mit der Entschuldigung der langen Anreise als Erster von der fidelen Gruppe verabschiedete.
In der Nacht stillten sie ihren Hunger aneinander. Deborah biss Albrecht heftig in die Zunge, bis sie sein Blut warm und metallisch schmecken konnte. Ihr Geliebter lachte nur, drehte sie auf den Bauch und rächte sich dann ohne
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