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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
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Schluss gekommen, dass es über ihren Ernst tatsächlich nicht viel zu sagen gab. Deborah pflichtete ihr im Stillen bei. Sie erinnerte sich an diesen Ernst als kleinen, korpulenten Mann mit gut durchblutetem Gesicht und Doppelkinn, dessen unangenehm lautes Lachen immer noch einen Takt länger im Raum nachhallte, wenn alle anderen bereits verstummt waren. Und er war verheiratet.
    Als Deborah aufblickte, glaubte sie zu bemerken, dass Marlene sie prüfend angesehen hatte, als hätte die Ware vor ihr auf dem Ladentisch plötzlich an Wert gewonnen. Sie schien einen Entschluss gefasst zu haben: „Ich möchte dir einen Rat geben, Chérie. Besser du stellst keine solchen Fragen. Männer mögen es nicht, wenn wir Frauen uns Gedanken über ihre Taten machen. Verstehst du?“
    Deborah spürte Zorn in sich aufwallen. Sie wollte sich nicht von jemandem belehren lassen, der kaum älter war als sie und den sie erst seit kurzem kannte. Deshalb antwortete sie jetzt schärfer als beabsichtigt: „Aha. Du willst wohl eher damit sagen, dass ich meinen Mund halten und mir keine dummen Gedanken machen soll?“
    „Nein, Chérie. Ich spreche davon, dass du dir keine gefährlichen Gedanken machen sollst. Komm! Besser, wir gehen.“ Sie griff nach ihrer Handtasche, warf einen Schein auf den Tisch und wandte sich in Richtung Ausgang. Deborah blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
    Marlene bestritt die gesamte Konversation während der Rückfahrt zum Hotel alleine. Deborah schwieg auf betont herablassende Weise, indem sie so demonstrativ aus dem Fenster blickte, als gäbe es draußen Sensationen zu bewundern.
    Marlene störte sich nicht daran, sondern plapperte unbeirrt weiter. Als sie vor dem Grand Hotel hielten und der Portier heranstürmte und die Tür für Deborah aufriss, berührte Marlene Deborah leicht an der Schulter und hielt sie dadurch zurück. In ihrer Stimme, die gerade noch oberflächlich geklungen hatte, schwang plötzlich ein unerwartet ernster Unterton mit: „Maria! Auf ein Wort! Weißt du, was Coco Chanel einmal gesagt hat? Sie meinte, dass die meisten Frauen ihr Nachthemd mit mehr Verstand und Sorgfalt auswählen als ihre eigenen Männer. Das bedeutet, so wie man sich bettet, so liegt man. Vergiss das nie! Ich hole dich morgen wieder ab. Gleiche Zeit. Au revoir, Chérie.“
    Und weg war sie und ließ eine einigermaßen verblüffte Deborah zurück. Sie starrte Marlene hinterher. Eigentlich wollte sie auf Marlene wütend sein und nun fühlte sie sich, als hätte ihr jemand allen Wind aus den Segeln genommen. Bis zu diesem Augenblick hatte sie geglaubt, Marlene durchschaut zu haben. Was hatte dieser plötzliche Stimmungswechsel ihrer schwatzhaften Begleiterin zu bedeuten? Eine weitere Warnung?

 
     

    Kapitel 4 0
     
     
    Bis zum Abend und Albrechts Rückkehr waren es noch mehrere Stunden. Deborah blieb genügend Zeit, um über einiges nachzudenken. Marlene gab ihr Rätsel auf. Deborah gestand sich ein, dass von Marlene eine gewisse Faszination ausging, die sich einem erst nach und nach erschloss. Auf jeden Fall schien sie klüger zu sein, als sie nach außen hin zeigen wollte. In gewisser Weise erinnerte sie Marlene an ihre Freundin Magda. In ihr hatte auch viel mehr gesteckt, als man zunächst vermutet hätte.
    Weit mehr als Marlene Kalten beschäftigte Deborah aber das Schicksal der Menschen, die sie heute auf der offenen Ladefläche gesehen hatte. Sie waren wie Vieh abtransportiert worden - weil sie Juden waren!
    Der Anblick hatte etwas in ihr ausgelöst. Nie zuvor hatte sie sich jüdisch gefühlt. Heute jedoch hatte sie zum ersten Mal den Keim ihrer jüdischen Wurzeln gespürt, denen auch ihr Vater entstammte. Sie wusste nicht allzu viel über den jüdischen Glauben, ihr Vater hatte seine Religion nicht praktiziert, aber sie kannte durch ihn die Leidensgeschichte ihres Volkes und er hatte sie die hebräische Sprache gelehrt. Sie gehörte zu diesen Menschen, sie war eine von ihnen!
    Sie begriff jäh, warum sie den Gedanken an diese Menschen nicht hatte zulassen wollen, sich tatsächlich einen Augenblick lang gewünscht hatte, ihnen niemals begegnet zu sein. Sie und ihr Bruder waren in letzter Minute von Albrecht gerettet worden. Wer aber würde kommen und diese armen Menschen retten?
    Deborah hatte sich eingebildet, den Schrecken jener Nacht in München unwiderruflich in ihrer Seele verschnürt und gebannt zu haben, indem sie ihn mit selbst zugefügten Schmerzen überlagerte.
    Aber der Schrecken war nicht

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