Honigtot (German Edition)
Rücksicht.
Zwei Abende darauf nahmen sie an einem Empfang bei Hans Frank, dem Generalgouverneur von Polen, auf der Wawelburg, teil.
Die Burg aus dem 13. Jahrhundert thronte auf einem kleinen Hügel über der Weichsel und bot im Licht von hunderten erleuchteten Fackeln einen eindrucksvollen Anblick. Die Wawel war seit jeher der Stammsitz der polnischen Könige gewesen und Hans Frank und seine Frau Brigitte residierten auf ihr denn auch wie ein feudales Herrscherpaar. Standesbewusst beschäftigten die Eheleute ein ganzes Heer an Bediensteten, die sie selbst als ihre Gefolgschaft bezeichneten.
Albrecht, der Deborah gegenüber in letzter Zeit nicht mit Anekdoten geizte, raunte ihr zu, dass man in internen Kreisen Hans Franks Einflussgebiet als ´Frank-Reich` titulierte.
Albrecht verriet ihr weiter, dass der Generalgouverneur bis vor wenigen Jahren Justizminister in Bayern gewesen war und als persönlicher Jurist des Führers diesen in über vierzig Prozessen vertreten hatte. Deborah dachte in einem neuerlichen Anfall von Sarkasmus, dass Frank seine Sache dabei gut gemacht haben musste, sonst würde er heute sicherlich auf seiner geschmückten Burg nicht gesund und munter Hof halten können.
Das zweite, das gemeine Gesicht von Frank blieb Deborah verborgen. Für sie entpuppte er sich als ein charmanter Gastgeber und versierter Klavierspieler, als Opernliebhaber und Philosoph, der gerne Nietzsche zitierte, so wie ihr Vater früher.
Die Franks nahmen die begabte Tochter der berühmten Künstlerin Elisabeth Malpran gerne in ihren erlauchten Kreis auf. Frau Brigitte ließ es sich nicht nehmen und prahlte laut in die Runde, wie sie vor zwei Jahren in der Berliner Staatsoper in der Loge des Führers gesessen und dieser dem Auftritt der Künstlerin zugejubelt hatte.
Wenn man die mit weißem Damast und funkelndem Silber gedeckte Tafel und die Unmengen raffinierter Speisen sah, die von Bediensteten auf polierten Platten serviert wurden, dazu die vornehme Gesellschaft in Smoking und Abendkleid betrachtete, die schmauste und sich amüsierte, als gäbe es kein Morgen, mochte einem kaum in den Sinn kommen, dass sich Deutschland seit bald drei Jahren im Krieg mit halb Europa befand.
Immer wenn Deborah zufällig dem Blick Hans Franks begegnete, überlief sie ein leiser Schauer, als spüre sie den Atem der Gefahr in ihrem Nacken. Sie konnte den Geschmack der Erregung, ähnlich dem Prickeln von Champagner, fast auf ihrer Zunge schmecken. Ihr gefiel dieses unbekannte Gefühl, weil sie glaubte, dass es ihr Macht über diesen fremden Mann verlieh, der sie begehrte, aber sie ihn nicht.
Deborah aber war absolut unerfahren in diesem neuen Spiel. Daher kannte sie auch nicht die wichtigste Regel: dass die Macht stets dem Gesetz des Stärkeren gehorchte.
„Nun, Obersturmbannführer Brunnmann“ - Hans Frank betonte den Rang seines Tischnachbarn, als läge es in seiner Absicht, den Unterschied zu seinem eigenen, höheren Rang herauszustellen -, „Sie waren ja in den letzten Monaten seit Wannsee äußerst umtriebig, was man so aus Berlin hört. Gerade erst gestern habe ich eine Depesche aus dem Reichssicherheitshauptamt mit weiteren zu ergreifenden Maßnahmen erhalten. Ich nehme an, Sie sind unterwegs, um sich persönlich vom Fortschritt unserer Arbeit zu überzeugen? Wer hat Sie geschickt? Kamerad Reichsführer-SS oder der Chef ?“
Deborahs sensibles Gehör hatte registriert, dass der Frage etwas Lauerndes zugrunde lag. Warum, entzog sich verständlicherweise ihrer Kenntnis. Ihr fiel aber auf, dass auch einige der anderen Gäste ihre Köpfe aufmerksam in ihre Richtung gewandt hatten. Daraufhin verstummten mehr und mehr Tischgespräche, bis der Saal vollkommen von einer gespannten Stille erfüllt wurde.
Albrecht blieb die Gelassenheit in Person. Mit Bedacht wählte er eine Zigarre aus dem soeben herumgereichten Humidor und entzündete sie mit ruhiger Hand. Er zog mehrmals genüsslich daran, bis die Spitze gelb aufglühte und antwortete dann: „Ich bin hier als Leiter des Referats IV und mache tatsächlich nur meine Arbeit. Nicht mehr und auch nicht weniger, Herr Generalgouverneur .“
„Nun ja, Sie scheinen dabei auch nicht Ihr Vergnügen vergessen zu haben, Obersturmbannführer.“ Frank lehnte sich lässig in seinem Stuhl zurück, faltete die Hände über seinem beginnenden Bauch und sein Blick fixierte dabei Deborah.
„Nun, das gehört zu den Privilegien unserer Herrschaft, nicht wahr, Herr Generalgouverneur?“
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