Honigtot (German Edition)
dem Hauptmarkt zu suchen hatte. Der Gedanke ließ sie stutzen. War das Tragen der Uniform für Angehörige der SS, zu der Osman als Chauffeur Albrechts gehörte, nicht sogar Pflicht? Aber Osman hätte ihr sowieso nicht auf ihre Fragen antworten können.
Sie nahm sich aber vor, sie bei nächster Gelegenheit für ihn aufzuschreiben. Das Rätsel interessierte sie, auch ob er Albrecht davon erzählen würde. Sollte sie es ihm selbst erzählen? Nein, beschloss sie. Lieber wollte sie darauf warten, ob Albrecht sie darauf ansprach. Dann konnte sie immer noch improvisieren. Irgendwie merkwürdig, überlegte sie weiter. Sie und Osman hatten sich heute beide ´verkleidet`, und waren prompt in eine böse Situation geraten. Sie begriff, dass die Uniform einen Schutz für Osman darstellte, der tatsächlich etwas Fremdländisches an sich hatte, ebenso wie ihre schicken Kostüme sie als deutsche Dame auswiesen. Kleider machten nicht nur Leute, sie schützten auch! Kein Wunder, dass die Besucher auf dem Hauptmarkt sich so klein und unauffällig gaben wie möglich. Niemand wollte die Aufmerksamkeit der Deutschen und ihrer Helfer auf sich lenken.
Deborah hatte im Anschluss an das hässliche Abenteuer ein ausgiebiges Bad genommen. Mit dem handlichen Stilett, das Albrecht ihr kürzlich feierlich überreicht hatte und das sie immer bei sich trug, hatte sie ausgiebig ihre Arme geritzt und dabei zugesehen, wie ihr Blut in das Badewasser tropfte und es rosa färbte. Danach hatte sie sich, wie von dem kleinen Arzt angeordnet, ausgeruht. Ihre vitale Konstitution tat ihr Werk und sie fühlte sich beinahe wieder vollkommen hergestellt, als gegen 17:00 Uhr Marlene erschienen war.
Zehn Minuten später war ihre Freundin schon wieder gegangen, bloß wegen dieser blöden Meinungsverschiedenheit. Deborah ärgerte sich über sich selbst und fasste einen spontanen Entschluss: Sie würde Marlene folgen! Schnell schnappte sie sich Mantel, Hut und Handschuhe und trat auf den Flur. Marlene war nicht mehr zu sehen.
Wie es ihrer Gewohnheit entsprach, hatte Marlene nicht den Aufzug, sondern die Treppe gewählt, denn sie fühlte sich in kleinen Räumen nicht wohl - umso mehr zählte ihre Bereitschaft, stundenlang in der Wäschekammer auszuharren.
Deborah hielt es da bequemer. Sie entdeckte, dass der Aufzug einladend und leer auf ihrem Stockwerk wartete. Wie so oft war von dem kleinen Liftboy weit und breit nichts zu sehen. Deborah fuhr die drei Stockwerke hinab und hoffte, noch vor Marlene unten anzulangen. Sie sah sich aufmerksam um, während sie den Aufzug verließ, und verbarg sich augenblicklich hinter einer der hohen Stechpalmen, die den Aufzug rechts und links säumten. Nicht zu früh. Kaum zwei Sekunden später tauchte Marlene auf den letzten Stufen auf und durchquerte die Hotelhalle. Deborah folgte ihr.
* * * * *
Jetzt, am späten Nachmittag, waren die Straßen und Plätze belebt und es fiel Deborah nicht schwer, Marlene unauffällig zu folgen, die zügig ausschritt und den Weg in Richtung Hauptmarkt einschlug. Sie folgte Marlene quer über den Marktplatz. Zweimal hätte sie sie beinahe in der Menge verloren, doch sie ahnte bereits, wohin es ihre Freundin zog: Auf den kleineren Markt Maly Rynek, der hinter der Marienkirche lag.
In der Gegend gab es einige gute Bekleidungsgeschäfte und Schneidereien, sowie eine Reihe kleinerer Lokale und Cafés. Tatsächlich steuerte Marlene jetzt auf eine der besten Schneidereien Krakaus zu, die sich auf Abendmode spezialisiert hatte. Scheinbar interessiert betrachtete ihre Freundin die Auslage im Fenster.
Gerade noch rechtzeitig fiel Deborah eine von Marlenes Lektionen ein und so huschte sie hinter eine Hausecke. Marlene begutachtete nicht die Auslage, sondern beobachtete durch das spiegelnde Glas, ob ihr jemand gefolgt war. Dann erst betrat sie das Geschäft.
Deborah überquerte nun die schmale Straße und blieb unschlüssig vor dem Laden stehen. Mechanisch warf sie gleichfalls einen Blick in das einzige Schaufenster, schenkte aber dem schwarzen, raffiniert drapierten Abendkleid keine Beachtung. Sie zögerte, den Laden zu betreten. Sollte sie Marlene zur Rede stellen, weshalb sie vorgab, sich mit Ernst zu treffen, dann aber alleine einkaufen ging? Oder sollte sie so tun, als hätte sie ebenfalls beschlossen, einkaufen zu gehen und man sich nun aus purem Zufall hier traf? Sie verwarf beides. Marlene würde sofort wissen, dass Deborah ihr heimlich gefolgt war.
Zwei gut gekleidete junge Damen in
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