Honigtot (German Edition)
verschafft. Was haltet ihr davon? Seid ihr dabei?“ Wieder konzentrierte sich Jakob auf Deborah.
Dieses Mal hatte Marlene nichts dagegen einzuwenden. Ebenso wie ihr war auch Jakob klar, dass alles von Deborahs Bereitschaft abhing, Albrecht erneut mit Marlene zu teilen. In dem Augenblick, in dem Eifersucht ins Spiel kam, hatten sie verloren. Ihre Beziehung zueinander und untereinander war ziemlich kompliziert und Marlene hatte noch nicht alle Zusammenhänge durchschaut. Deborah unterstützte scheinbar ihre Sache, gleichzeitig aber hatte sie Albrecht ihr gegenüber bei mehreren Gelegenheiten heftig verteidigt.
Kurz nachdem Deborah ihrer Freundin ihre Lebensgeschichte erzählt hatte, hatte Marlene ihr gegenüber vorsichtig anzudeuten versucht, dass eventuell Albrecht hinter dem Verschwinden ihres Vaters stecken könnte. Da hatte sie ihr blaues Wunder erlebt.
Deborah war beinahe wie eine Furie auf sie losgegangen. Marlene hegte allerdings schon länger den Verdacht, dass Deborah diesem Brunnmann ein Stück weit hörig war. Ob es auf Gegenseitigkeit beruhte, konnte sie nicht sagen. Brunnmann war schwer durchschaubar, aber Tatsache war, dass beide den Schmerz mochten. Schmerz konnte eine ebenso enge Bindung schaffen wie Liebe. Deborah jedenfalls schien Albrecht vollkommen zu vertrauen und trotzdem hinterging sie ihn. Sie war ein Widerspruch in sich und Marlene wusste nie im Voraus, wie Deborah reagieren würde. Ganz davon abgesehen war sie selbst nicht sonderlich begeistert von Jakobs Plan.
Nicht weil der Plan so schlecht gewesen wäre, sondern weil Jakob sie ohne jeden Skrupel erneut in Albrechts Bett schickte. Es würde Marlene einiges an Überwindung kosten, sich erneut mit diesem Naziteufel im Bett zu suhlen. Komischerweise fiel es ihr bei Ernst viel leichter.
Es mochte daran liegen, dass Ernst kein richtiger Nazi war. Er war schon vor 1933 Berufssoldat gewesen und machte einfach nur seine Arbeit beim Ersatzheer. Im Grunde war er harmlos. Und er liebte sie tatsächlich. Plötzlich wurde Marlene wütend auf Jakob. Jakob, der aus ihr eine Nazihure gemacht hatte. Das wirst du mir büßen , dachte sie aufgebracht. Gleichzeitig wusste sie, dass ihr Streit wie immer damit enden würde, dass sie wie die wilden Tiere übereinander herfallen und sich auf dem Boden wälzen würden - und Jakob seinen Willen bekam.
Sie, Marlene, würde die erneute Ménage à trois mit der gewohnten Routine abwickeln. Deborah hingegen fehlte diese Routine, sie musste es wirklich wollen, wenn es funktionieren sollte. Beim ersten Mal war sie einfach von der Situation überrumpelt worden, aber ihre natürliche Leidenschaft und ihre Lust an der Improvisation hatten schnell die Oberhand gewonnen. Diesmal fehlte das Überraschungsmoment. Wie würde sich Deborah verhalten, wenn alles zuvor geplant war und der Ausgang bereits feststand?
Deborah ließ sich mit ihrer Antwort Zeit. Sie hielt ihren Hut in der Hand und rupfte nervös die darauf drapierten Federn einzeln aus. Marlene versuchte, unauffällig in dem Gesicht ihrer jungen Freundin zu forschen. Im Gegensatz zu anderen Gelegenheiten gelang es ihr diesmal nicht. Deborah sah einfach nur nachdenklich aus.
Eine weitere Minute verstrich, bis Deborah den Kopf hob und ohne jeden Zusammenhang sagte: „Heute Vormittag war ich allein in der Stadt spazieren. Es war irgendwie seltsam, wisst ihr, die ganze Atmosphäre und Stimmung. Seit du mir beigebracht hast, Marlene, die Augen offen zu halten, sehe ich plötzlich Dinge, die mir vorher nie richtig bewusst waren. Ich bin sehr vielen Menschen begegnet, aber kaum einer hat es gewagt, mich auch nur anzusehen, außer natürlich die deutschen Offiziere und ihre Begleitung. Die polnischen Bürger laufen mit gesenktem Kopf herum, als wären sie ständig auf der Hut. Wenn sie auch nur ansatzweise SS-Männer erspähen, wechseln sie scheinbar unauffällig die Richtung. Sie haben alle Angst. Mein Vater würde sagen, dass so ein Verhalten nicht gesund ist. Männer wie Albrecht sind daran schuld. Das ist mir heute klar geworden. Wir sind es, die dieses Gefühl bei diesen armen Menschen auslösen. Es ist gut, ich bin dabei. Aber lasst es uns schnell tun.“
Jakob nickte anerkennend. Marlene atmete auf. Mochten sie und Deborah vielleicht heute Rivalinnen um denselben Mann geworden sein, so hatte Deborah endlich einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung getan. Außerdem kannte sie Jakob. Dieser Mann würde keiner Frau je ganz gehören. Fast empfand sie Mitleid
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