Honigtot (German Edition)
zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, eine Hoffnung auf das Versprechen der Zukunft. Martha hob nun ihre Hand und strich ihrer Tochter zart über die Wange. „Was hältst du davon, Felicity, wenn wir noch einige Tage hier bleiben und uns gemeinsam Rom ansehen? Jetzt, wo wir schon einmal da sind.“
„Dass das eine sehr gute Idee ist, Mom!“ Felicity gab ihr das Lächeln aus vollem Herzen zurück.
EPILOG
Ich, Felicity
Eingangs erwähnte ich, dass die Wahrheit stets ihrer eigenen Physik folgt. Irgendwann würde sie uns einholen und anklagen. Doch das ist nur eine Facette der Wahrheit, denn sie macht uns auch frei. Sie kann Wunden heilen und Frieden bringen.
Wir, Pater Simone, Onkel Wolfgang, meine Mutter und ich, erfuhren in dieser Nacht bei Gino noch sehr viel über unsere Familie und ihr Schicksal. Ich stellte mir dabei meine Urgroßeltern vor, das Glück ihrer Liebe, deren Unglück es war, in die falsche Zeit hineingeboren worden zu sein. Sie waren die Opfer einer pervertierten Ideologie, die ein ganzes Volk mitgerissen hatte und ein weiteres fast für immer vernichtet hätte. Wofür? Es ist eine Frage, die erst beantwortet werden kann, wenn der Mensch endlich gelernt hat Frieden zu halten.
Einer Eingebung folgend fragte ich meinen Onkel noch, ob er denn wüsste, was aus Großmutters Freundin Marlene geworden wäre. Sie war mir beim Lesen der Lebensgeschichte meiner Großmutter richtig ans Herz gewachsen, eine starke und mutige Frau. Da hat er mich verschmitzt angelächelt und gefragt, ob mir Greta Jakob ein Begriff wäre. Natürlich bejahte ich, denn wer kannte Greta Jakob nicht, sie war eine der berühmtesten Schauspielerinnen ihrer Zeit.
So erfuhr ich, dass Marlene Kalten ihren Jugendtraum wahr gemacht hatte und Schauspielerin geworden war. Mein Großonkel kannte sie gut, die beiden waren seit Ende des Krieges befreundet und hatten viele Jahre gemeinsam nach meiner Großmutter gefahndet. „Meine Schwester wollte wohl nicht gefunden werden“, meinte er betrübt. „Denn sie hätte jederzeit die Möglichkeit gehabt, mit Marlene Kontakt aufzunehmen. Greta hat sogar in mehreren Interviews gesagt, dass sie ihre Freundin Deborah suche und ihr Bruder Wolfgang lebe, aber … “ Er ließ den Satz unvollendet und ich konnte seinen Schmerz spüren. Greta Jakob alias Marlene Kalten sei jetzt weit über neunzig, erzählte er mir weiter, aber sie erfreue sich in Anbetracht ihres Alters einer annehmbaren Gesundheit und eines flinken Geistes. Vor knapp zwanzig Jahren habe sie sich zurückgezogen und lebe heute wieder in Krakau.
Am Ende schenkte mir Onkel Wolfgang das Gedicht meines Urgroßvaters mit den Worten: „Dieses Gedicht ist das Einzige, was mir von meinem Vater geblieben ist, es ist mein wertvollster Besitz. Ich möchte, dass du es bekommst, Felicity, in Erinnerung an diese beiden wunderbaren Menschen, die meine Eltern waren. Mein Vater besaß nicht nur heilende Hände, sondern er konnte auch mit Worten heilen. Er hat mich vieles gelehrt. Aber besonders oft muss ich an den einen Satz von ihm denken, dass Liebe das Einzige ist, was diese Welt heilen kann.“ Dabei sah mich mein wiedergefundener Großonkel mit seinen klugen Augen an, als wüsste er, dass es in meinem Leben noch eine große Frage ohne Antwort gab.
Noch dieses Jahr werden Mutter und ich Onkel Wolfgang in München besuchen. Das Haus am Prinzregentenplatz 10 wurde im Krieg zerstört, aber er wird uns die Grabstelle meiner Urgroßeltern zeigen. Das Grab meines Urgroßvaters ist leer. Sein Schicksal wird - wie so viele der unsäglichen Menschheits-Kriege - für immer ungeklärt bleiben. Und wir werden gemeinsam nach Krakau reisen und Marlene besuchen. Mutter und ich möchten sie unbedingt kennenlernen. Onkel Wolfgang hat schon mit ihr gesprochen und uns erzählt, dass sie sich auf uns freue.
Nachdem wir uns im Morgengrauen von Pater Simone verabschiedet hatten, las ich das Gedicht noch einmal. Und noch einmal. Onkel Wolfgang hatte mir die Übersetzung aufgeschrieben. Und dann hörte ich wieder Onkel Wolfgangs Stimme, die sagte: „Liebe ist das Einzige, was diese Welt heilen kann.“ Ich dachte an die Frauen meiner Familie, an meine Urgroßmutter Elisabeth, meine Großmutter Deborah und an meine eigene Mutter. Sie alle hatten verschiedene Formen der Liebe erlebt, sie hatte ihr Schicksal bestimmt. Für sie war Liebe sehnsüchtig und herzzerreißend, exzessiv und verzehrend, aber auch so zerstörerisch gewesen, dass das eigene
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