Honigtot (German Edition)
Albrecht Brunnmann zu töten. Es ist ihr nicht ganz gelungen, aber sie hat Brunnmann schwer verwundet. Ich habe nachgeforscht und bin auf die alten Protokolle gestoßen. Darin steht, dass Deborah Berchinger im Oktober 1945 wegen versuchten Mordes verhaftet wurde. Sie war in die vatikanischen Gärten eingedrungen und hatte versucht, Albrecht Brunnmann, der sich dort mit Bischof Hudal aufhielt, zu erschießen. Sie schoss mehrmals, traf ihn aber nur einmal an der Schulter, dann wurde sie zurückgerissen und von der Schweizer Garde verhaftet. Weil sie hochschwanger war, wurde sie an die italienische Justiz weitergereicht. Raffael Valeriani arbeitete damals als Seelsorger im Gefängnis. Die Geschichte und das Schicksal Ihrer Mutter Deborah muss ihn erschüttert haben. Sie, liebe Martha, wurden noch in Rom geboren. Er hat für sich, Ihre Mutter und das Kind neue Papiere beschafft und ihre gemeinsame Flucht nach Amerika geplant. Und er hat Ihre Mutter, wie wir inzwischen wissen, in dem Glauben gelassen, dass sie Albrecht Brunnmann getötet hat. Eine fromme Lüge, aber nötig, da sie vermutlich sonst nie mit ihm nach Amerika gegangen wäre.
Darum sind auch die Nachforschungen des Professors stets im Sande verlaufen. Eine Deborah Berchinger gab es von da an nicht mehr. Sie sehen, Signora Benedict, es gibt nichts, wofür sich Ihre Mutter schämen musste oder Sie! Im Gegenteil, Ihre Mutter war sehr tapfer. Sie war, wie so viele andere, ein Opfer des Nazi-Terrors. Albrecht Brunnmann wurde übrigens 1960 von israelischen Agenten aus Argentinien entführt und nach Israel gebracht. Er wurde dort zum Tode verurteilt und 1962 hingerichtet. Ich habe inzwischen auch herausgefunden, dass Ihre Mutter bei dem Prozess anwesend war und gegen ihn ausgesagt hat.“
Den Rest der Geschichte ergänzte Wolfgang „Wolferl“ Berchinger. So erfuhren sie von ihm, dass seine Schwester bis zum Ende des Krieges von Albrecht Brunnmann wie eine Gefangene gehalten wurde und ihm `zu Diensten´ sein musste. „Sie hat es für mich getan. Brunnmann hatte ihr gedroht, dass er mich sonst als Jude nicht länger schützen und in ein Konzentrationslager schaffen lassen würde. Nach dem Krieg habe ich versucht Deborah zu finden, aber sie war spurlos verschwunden. Wie mein Vater Gustav 1934.
Unser ehemaliges Hausmädchen Ottilie hat mich gerettet. An dem Tag, als ich Deborah das letzte Mal gesehen habe, gab es einen verheerenden Luftangriff. Brunnmann hatte meine Schwester kurz vorher mitgenommen. Als die Sirenen einsetzten, waren die beiden Angestellten Brunnmanns unaufmerksam. Ich bin ihnen entwischt und auf die Straße gelaufen. Da kam mir Ottilie entgegen. Sie hat mich geschnappt und wir sind in den Luftschutzbunker nebenan und nicht in unseren Keller wie sonst immer. So haben wir überlebt. Ottilie nahm mich mit zu sich auf den Bauernhof ihrer Familie in Straßlach. Rechtschaffene Leute.
Ich möchte dir etwas zeigen, liebe Martha, mein Vater hat es mir hinterlassen. Er hat es mir an dem Abend gegeben, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Es ist ein Gedicht.“ Er holte einen vergilbten Zettel aus seiner Brieftasche und wollte ihn eben Martha reichen, als er sich auf die Stirn schlug. „Verzeih, ich habe gar nicht gefragt. Kannst du denn Deutsch?“ Als Felicity und ihre Mutter verneinten, trug er den Text für sie auf Englisch vor:
Ob Mensch, ob Tier,
ob Zweibein oder vier,
ob Stock und Stein,
ob Korn und Sein,
es findet alles seinen Platz,
in Gottes großem Schatz.
Doch das größte Geschenk ist die Liebe!
Findet sie dich, so halt sie fest und nimm sie an,
LIEBE ist das Einzige, das diese Welt heilen kann.
Pater Simone seufzte vernehmlich: „Ach, was könnte die Welt für ein friedlicher Ort sein, wenn sich alle an diese einfachen Weisheiten halten würden. Mehr hat unser Herr Jesus auch nicht gewollt. Aber der Mensch ist nicht für das Einfache geschaffen, er muss immer alles verkomplizieren. Er ist sich selbst eine Bürde.“
Eine Weile war es am Tisch völlig still. Ein jeder hielt die Zeilen des Gedichts noch eine Weile in seinen Gedanken fest und ließ ihre einfache Wahrheit nachwirken.
Irgendwann hob Martha den Kopf und sah ihre Tochter lange an, in ihren Augen standen Tränen. Ganz zaghaft sagte sie dann zu ihr: „Mea culpa“. Dabei lächelte sie Felicity an, wie sie sie noch nie angelächelt hatte. Es war ein Lächeln, das in ihrem Herzen begann und in ihren Augen endete. Felicity sah es und ein vorsichtiges Staunen
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