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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
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bereits der neuen Politik an.
    Er sah jetzt erneut auf seine Uhr, die kurz nach acht Uhr anzeigte. Wo der Fritz nur so lange blieb? Langsam begann er sich Sorgen um seinen Freund zu machen. Fritz hatte bisher nie ihren Donnerstags-Stammtisch versäumt. Wohl war er ab und an später erschienen, wenn er eine schlagzeilenträchtige Nachricht erhalten hatte und die ganze erste Seite für den nächsten Tag neu gesetzt werden musste; in diesem Fall hatte er aber stets einen Laufburschen mit einer Nachricht in den Ratskeller geschickt. Einfach fernzubleiben sah Fritz nicht ähnlich. Außerdem hatte ihn sein Freund noch am Morgen angerufen und ihm anvertraut, dass er am Abend etwas sehr Wichtiges mit ihm zu besprechen hätte. Gustav hoffte darauf, dass sich Fritz endlich dazu durchgerungen hatte, Deutschland den Rücken zu kehren und nach Österreich überzusiedeln. Fritz' kritische Zeitung „Der gerade Weg - Deutsche Zeitung für Wahrheit und Recht“ war den Nationalsozialisten von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen.
    Hitler persönlich ließ sich immer wieder Ausgaben kommen und er las, wie man hörte, Gerlichs Beiträge mit wachsendem Unmut. Der neue Reichskanzler nahm Gerlich zusätzlich übel, dass er viele der Reden seines Feindes, des Reichskommissars Ritter von Kahr, verfasst hatte - unter anderem auch jene im Münchner Bürgerbräukeller während des missglückten Putsches von 1923.
    Gerlich hatte bereits massive Repressalien durch die SA erfahren. So hatte man ihm kürzlich die Fensterscheiben zuhause eingeworfen. Seine Frau Sophie hatte sich zu Tode erschreckt. Einer der Steine hatte sie nur knapp verfehlt. Fritz erhielt auch immer häufiger schriftliche Morddrohungen. Der mutige Journalist ließ sich auch davon nicht beeindrucken - unerschrocken druckte er die zum Teil obszönen Texte in seiner Zeitung ab.
    Bösartig und konfus spiegelten die Briefe eindrucksvoll die geistige Beschränktheit der Verfasser wider. Seine Freunde versuchten deshalb schon seit längerem den Fritz davon zu überzeugen, München gemeinsam mit seiner Frau Sophie zu verlassen.
    Gustav stand auf und bat den Wirt, sein Telefon benutzen zu dürfen. Im Verlagshaus ertönte das Besetztzeichen und im Heim der Gerlichs antwortete ihm niemand. Er versuchte es innerhalb der nächsten zwanzig Minuten mehrmals. Seine Unruhe wuchs und sein Bier begann ihm schal zu schmecken. Gustav verabschiedete sich dann alsbald von der letzten tapferen Schar seiner Mitstreiter und überließ sie ihren eigenen, bierseligen Sorgen.
    Er hatte beschlossen, Fritz direkt in seiner Redaktion aufzusuchen. Vermutlich hatten ihn die Ereignisse des heutigen Tages aufgehalten, suchte er sich selbst weiter zu beruhigen. Unter anderem hatte der gemäßigte, konservative Bürgermeister Karl Scharnagl nach zwölf Jahren heute das Münchner Rathaus räumen müssen. Die neuen Machthaber in Berlin hatten es so angeordnet.
    Die Distanz zwischen dem Ratskeller und den Redaktionsräumen der Zeitung betrug kaum vierhundert Meter. Gustav beschleunigte seine Schritte und rannte dann beinahe durch die Straßen. Er verlor seinen Hut und bemerkte es nicht einmal. Auf halbem Weg musste er einer grölenden SA-Rotte ausweichen und versteckte sich gerade noch rechtzeitig. Beinahe schämte er sich seiner Furcht. Hatten sie am Stammtisch nicht gerade noch große Reden geschwungen und vollmundig debattiert, dass man sich nicht einschüchtern lassen durfte? Dass man um sein Wort und die freie Meinung kämpfen, man sich gegen Willkür und Unrecht stemmen musste?
    Und jetzt mied er selbst das Licht und drückte sich mit klopfendem Herzen in einen dunklen Hauseingang. Benahm er sich nicht wie alle anderen? Ängstlich, feige und angepasst, das eigene Leben am nächsten? Wie ansteckend Angst doch ist , dachte er. Angst konnte einen vernichten. Halt Gustav! , meldete sich eine weitere, tiefer gelagerte Stimme in ihm - die Stimme, die um die Leiden seines Volkes wusste. Du bist Jude , Gustav , flüsterte sie. Entstammst einem Volk, das seit 3000 Jahren heimatlos ist. In beinahe jeder Generation werden Juden verfolgt, verjagt, enteignet, ermordet. Jude zu sein bedeutet, niemals in Sicherheit zu sein . Also halte Frieden mit dir selbst, Gustav. Schütze deine Familie. Du kannst den Lauf der Welt nicht ändern, weil du den Menschen nicht ändern kannst. Du kannst nur das tun, was alle Väter tun sollten: Die eigenen Kinder vor dieser Welt des Hasses retten, die die Erwachsenen ihnen bereiten.
    Umso mehr

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