Honigtot (German Edition)
wären, wo sich die feigen Lumpen aus dem Staub gemacht hätten.
Elisabeth hatte daraufhin alle Mühe, ihr Temperament im Zaum zu halten. Am liebsten hätte sie ihrem feisten Gegenüber ihr Strass besetztes Abendtäschchen über den teigigen Schädel gezogen.
Während Göring sprach, hatten seine Augen die Choreographie der Spekulation absolviert, wie zum Beispiel: Wenn der jüdische Arzt tatsächlich verschwunden war, wer von seinen Leuten hatte dann hier die Hand im Spiel gehabt? Steckte womöglich sein Intimfeind Goebbels dahinter? Er hatte läuten hören, dass der Bock von Babelsberg, wie Goebbels hinter seinem Rücken genannt wurde, einen Opernfilm plante und die Malpran seine erste Wahl hierfür wäre. Seit Lída Baarová, seiner kleinen tschechischen Freundin, war allseits bekannt, dass Goebbels eine Vorliebe für exotische Erscheinungen hatte. Die kleine österreichische Sängerin passte genau in sein Beuteschema. Hatte er sich deshalb den Scherz mit dem Ehemann erlaubt, um sich die Malpran für die Hauptrolle zu sichern? Wenn ja, würde er ihm gehörig in die Parade fahren. Wie hoch standen seine Aktien, dass er die schöne Sängerin Goebbels vor der Nase wegschnappte?
Dabei dachte er nicht unbedingt an ein amouröses Abenteuer, vielmehr an ein privates Konzert der in den letzten Jahren selten aufgetretenen Künstlerin auf seinem Familiensitz Carinhall - selbstverständlich in Anwesenheit des Führers.
Der alte Menschenfuchs hatte Elisabeths tiefe Enttäuschung registriert. Ihr Judengatte war ihm einerlei, aber er wusste seine Vorteile stets zu nutzen. Deshalb warf er sich jetzt in die Brust und meinte, dass er selbstverständlich gleich am nächsten Morgen Nachforschungen nach dem Verbleib ihres Gatten anstellen würde. Wenn Sie dann gegen Mittag in seinem Büro in der Reichskanzlei vorsprechen würde, hätte er sicherlich schon etwas in Erfahrung gebracht. Und ergänzte: „Ich kann Ihnen versichern, meine Verehrteste, bei uns herrscht Ordnung. Da können die Leute nicht einfach so verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen!“ Wann Sie denn Ihren Herrn Gemahl zum letzten Male gesehen hätte?, erkundigte er sich gleich im Anschluss.
Elisabeth trat die Flucht nach vorne an und erklärte ihm, dass ihr Mann auf dem Weg nach Zürich gewesen war: „Der von mir hochgeschätzte Franz Lehár ist ein langjähriger Patient meines Mannes und er hat ihn in einer gesundheitlichen Angelegenheit um Beistand gebeten.“ Die Lüge kam ihr leicht über die Lippen - aber sie spürte gleich, dass ihr Göring kein Wort glaubte - auch wenn er sich den jovialen Anstrich gab.
Elisabeth, die ihn ihrerseits genau beobachtet hatte, ahnte längst, dass Göring sich nicht um den Fall kümmern würde, weil er ihr helfen wollte. Es schien ihm vielmehr daran gelegen zu erfahren, welcher seiner Parteigenossen hinter dem Verschwinden Gustavs stecken könnte. Elisabeth war es im Grunde egal, welche Ziele Göring verfolgte, Hauptsache, er fand etwas über den Verbleib von Gustav heraus.
Elisabeth bedankte sich jetzt artig und ganz Dame für die Mühen des Herrn Generalfeldmarschalls, w o er doch sicherlich mit Arbeit und Papieren und Anfragen überhäuft wäre und trotzdem … Und so weiter.
Sie überließ ihm ihre weiß behandschuhten Fingerspitzen ein klein wenig länger als schicklich, um gleich darauf Schwäche vorzutäuschen und anzudeuten, wie lang und beschwerlich doch der Tag für sie gewesen wäre.
Der Herr Feldmarschall verstand den Wink, dass es an der Zeit war, den gemeinsamen Abend zu beenden. Just in dem Augenblick rief jemand neben ihrem Tisch in anglikanisch eingefärbtem Deutsch: „Bitte, recht freundlich“, unmittelbar gefolgt von einem hellen Lichtblitz und dem beißenden Geruch von Phosphor.
Göring reagierte ob seiner Körperfülle mit erstaunlicher Rasanz. Er sprang auf und sein Gesichtsausdruck war selbst beim besten Willen nicht mehr jovial zu nennen.
Seine SS-Eskorte, die sich zwischenzeitlich diskret zurückgezogen hatte, preschte heran und nahm dem Mann sofort die Kamera und seine Freiheit weg.
Der unerwünschte Fotograf wurde derart schnell von kräftigen Armen und mit baumelnden Beinen davongetragen, dass Elisabeth ihn nur noch von fern rufen hörte: „Ich bin amerikanischer Staatsbürger!“
Schon eilte der devote Restaurantchef heran, verbeugte sich mehrmals in bewundernswerter Elastizität vor Göring, wobei seine Nasenspitze beinahe den Teppich putzte, und schimpfte auf die Aasgeier
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