Honigtot (German Edition)
von der Presse, die man vorne hinauswarf und die hinten wieder hereinkrochen.
Göring beachtete ihn nicht weiter, sondern ergriff erneut Elisabeths Hand, küsste sie galant und entschuldigte sich bei ihr für diese unerfreuliche Störung. Er verabschiedete sich mit der wiederholten Versicherung, die Angelegenheit für sie zu klären, und betonte nochmals, wie sehr er sich darauf freue, Frau Elisabeth morgen Mittag bei sich im Amt mit guten Nachrichten begrüßen zu dürfen.
Dies war ein genialer Schachzug, fand Göring. Indem er Frau Elisabeth Malpran zu sich bestellte, stufte er sie tiefer in ihre Bittstellerrolle hinein.
Elisabeth graute vor dem neuerlichen Treffen mit dem Feldmarschall und fieberte ihm gleichzeitig entgegen; der mächtige Göring war womöglich ihre einzige reelle Chance, etwas über Gustavs Verbleib herauszufinden.
* * * * *
Elisabeth hatte ihr Unwohlsein nicht vortäuschen müssen. Ihr Kopf schmerzte höllisch und fühlte sich heiß an. Sie hoffte inständig, dass sie sich in dem zugigen Flugzeug keine Erkältung zugezogen hatte - es wäre das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte.
Zurück auf ihrer Suite ließ sie sich sofort ein heißes Bad ein. Während die Wanne volllief, stellte sie trotz der späten Stunde über die Rezeption eine Verbindung zum Prinzregentenplatz her. Vielleicht hatte sich Ottilie inzwischen mit guten Nachrichten zurückgemeldet - obwohl Elisabeth ahnte, dass dem nicht so war. Sonst hätte die umsichtige Magda längst bei ihr angerufen. Elisabeth hatte ihr vorsorglich die Nummer des Hotel Adlon hinterlassen.
Magda berichtete ihrer Herrin kurz, dass Ottilies Tag ebenso ereignislos verlaufen sei wie der vorherige und sie morgen am Bahnsteig erneut Ausschau nach dem gnädigen Herrn halten würde. Am Abend würde das Dienstmädchen dann wie vereinbart mit dem letzten Zug nach München zurückkehren.
Dass Ottilie ihr gegenüber in tränenreicher Hysterie gebadet hatte, „ zum ersten Mal alleine in der Fremde und der Doktor verschwunden und dann regnet es junge Hunde! “, behielt Magda wohlweislich für sich. Elisabeth hegte ihre eigenen Vermutungen zu Ottilie und schätzte Magda umso mehr für ihren Takt.
Nach dem Bad ließ sich Elisabeth noch ein Glas heiße Milch mit Honig bringen. Ihre Suite war eine der besten des Hauses, mit direktem Blick auf das beleuchtete, mit Hakenkreuzfahnen beflaggte Brandenburger Tor.
Selbst jetzt, am späten Abend, herrschte auf dem Platz davor noch rege Betriebsamkeit. Ursprünglich hatte sie auf ein normales Zimmer gedrängt, aber die Direktion wiederum hatte auf der Suite bestanden. Der strahlende Direktor hatte es sich auch nicht nehmen lassen, die verehrte Sängerin höchstpersönlich mit vielen Dienern hinaufzuführen und ganz kurz hatte sie der Gedanke an die zusätzlichen Kosten gestreift.
Elisabeth fühlte sich zu Tode erschöpft. Trotzdem oder gerade deswegen konnte sie lange keinen Schlaf finden. Stunde um Stunde wälzte sie sich von einer Seite zur anderen, als würde sie direkt auf den Spitzen ihrer Sorgen liegen.
Erst gegen Ende der Nacht fiel sie in einen unruhigen Schlaf, aus dem sie kaum zwei Stunden später schweißgebadet erwachte. Heftige Hals- und Gliederschmerzen plagten ihren Körper jetzt. Ganz wunderbar, Elisabeth! Genau das, was du jetzt zusätzlich gebrauchen kannst - einen grippalen Infekt!
Sie dachte an Gustavs Rat, dass in der ersten Phase einer Erkältung ein flotter Spaziergang an der frischen Luft mit mehrmaligem tiefen Ein- und Ausatmen Wunder bewirken konnte. Anschließend ein Kännchen Tee mit einem Schuss Rum darin - doch das Wunder blieb aus. Dafür tränten jetzt ihre Augen und die Nase lief. Die freundliche Rezeptionistin besorgte ihr ein bewährtes Grippemittel mit schöner Werbung von der nahegelegenen Apotheke, leider aber von geringem Nutzen. Elisabeth ging es immer schlechter und das Treffen mit Göring in der Reichskanzlei rückte näher.
Darüber hinaus hing die Entscheidung, ob sie morgen die Reise mit ihren Kindern nach London antreten sollte, wie ein Menetekel über ihr.
Welche nächsten Schritte sollte sie unternehmen, falls es dem Feldmarschall nicht gelang, etwas über Gustavs Verbleib herauszufinden? Wohin konnte sie sich überhaupt noch wenden? Wo sollte sie suchen? Oh Gustav, wo bist du nur?, flehte sie ein ums andere Mal.
Ihr Kopf wollte ihr über all den quälenden Befürchtungen zerspringen. Sehnsüchtig betrachtete sie das Bett und wurde von dem jähen,
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