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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
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leidenschaftlichen Wunsch übermannt, sich bis ans Ende der Zeit unter die Bettdecke zu verkriechen. Mit einem Seufzer wandte sie sich ab. Ein Blick auf ihre Armbanduhr zeigte ihr, dass es Zeit wurde, sich für ihr zweites Treffen mit Göring umzukleiden. Sie musste sich jetzt unbedingt zusammenreißen.
    Sie öffnete ihre Reisetasche. Zum ersten Mal war sie froh darüber, dass sie notorisch zu viel eingepackt hatte. Sie wählte das kleine Schwarze mit der hauchzarten Spitzenpelerine, schminkte sich sorgfältig und zupfte ihre glänzenden Locken zurecht. Eine Weile kämpfte sie mit dem Verschluss der dreireihigen Perlenkette - ein Geschenk Gustavs zu Deborahs Geburt -, so sehr zitterten ihre Hände dabei. Abschließend schlüpfte sie in ihre Chanel-Pumps und betrachtete dann ihr Bild im Spiegel. Perfekt. Das dunkle Schwarz modellierte ihre zarten Konturen und die Perlen schimmerten mit ihrem Teint um die Wette.
    Um Atem und Kraft zu sparen, ließ sich Elisabeth den kurzen Weg in die Wilhelmstraße kutschieren.
     
    * * * * *
     
    Das Barlowpalais der NSDAP in München bestach bereits durch effektvolle Präsenz, doch gegen den wuchtigen Nazi-Pomp der Reichskanzlei wirkte es wie die arme Verwandtschaft.
    Die Reichskanzlei war ein Monumentalbau: Vierhundertzwanzig Meter lang und zwanzig Meter hoch, mit einem zehnstufigen breiten Treppenaufgang zwischen vier wuchtigen Tempelsäulen. Elisabeth wurde beinahe schwindelig beim Anblick des riesigen Reichsadlers und der Masse an blutroten Fahnen, die im Wind über ihr flatterten. Als sie zwischen den zigfachen Fahnenmasten hindurchschritt, überlief ein Frösteln ihren Körper.
    Während sie langsam die Treppe hochstieg, musste Elisabeth unwillkürlich an die eindrucksvolle Pracht und Größe des Mailänder Doms und des Petersdoms in Rom denken. Als Künstlerin wusste sie, dass Inszenierung alles war. Dies hier war tatsächlich Theaterdonner in Reinkultur.
    Im Inneren erging es ihr nicht besser, von allem zu viel und mit zu wenig Geschmack. Das Gebäude selbst summte emsig wie ein Bienenstock. Überall hasteten polierte Stiefel weithin hallend umher, auf dem Weg zu bedeutsamen Angelegenheiten.
     
    Pünktlich ließ sich Elisabeth anmelden, doch der Herr Feldmarschall Göring glänzte durch Abwesenheit. Er ließ ihr durch einen seiner Adjutanten ausrichten, dass er in dringenden Führer-Angelegenheiten abberufen worden wäre, aber schnellstmöglich zurückkehren würde. Sie möge bitte nur kurz warten. Von wegen …
    Elisabeth durfte dann eine geschlagene Stunde den Reichskanzleifasching genießen. Sie spürte dabei, wie das Fieber in ihren Schläfen pochte, und fühlte sich von Minute zu Minute elender. Dabei war sie sich beinahe sicher, dass Göring sie absichtlich warten ließ.
    Bodenschatz schaute kurz vorbei, um ihr mit einer typischen Geste anzudeuten: fünf Minuten. Diese Geste hatte etwas Unwirkliches an sich und löste in Elisabeth ein Déjà-vu aus: Sie sah sich selbst in ihrer Theater-Garderobe vor dem Spiegel sitzen und ihrem nächsten Auftritt entgegenfiebern.
    Das Fieber wütete tatsächlich immer heftiger in ihr und sie bat den Mann um ein Glas Wasser und ein Aspirin.
    Der Adjutant runzelte die Stirn. Bodenschatz bemerkte jetzt selbst, dass der Dame nicht wohl zu sein schien. Er eilte mit schnellen Schritten davon und kurz darauf tauchte ein junges Dienstmädchen auf, die Elisabeth das Gewünschte auf einem silbernen Tablett brachte.
    „Gnädige Frau, kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“, erkundigte sie sich. Elisabeth fragte sie nach einer Möglichkeit, sich kurz frisch zu machen und wurde von ihr in die den Damen vorbehaltenen Räumlichkeiten geführt.
    Auf dem langen, lichtdurchfluteten Korridor hatte Elisabeth dann eine schicksalhafte Begegnung. Aus dem Gegenlicht kam ihr ein Mann entgegen; Größe und Haltung glichen der ihres Mannes in einer Art und Weise, dass sie einen Augenblick lang der fiebrigen Halluzination erlag, dass ihr aus dem Licht Gustav entgegenkam.
    Abrupt blieb sie stehen. Ihr Herz raste, und gefangen zwischen Hoffen und Bangen, sah sie der näherkommenden Gestalt erwartungsvoll entgegen.
    Doch der Mann war nicht Gustav. Zwar glich er ihm tatsächlich, obwohl sich der Eindruck aus der Nähe wieder etwas verlor. Besonders aber unterschieden sich seine Augen von denen Gustavs, die Tiefe und Güte verhießen, doch in jenen des Fremden fand Elisabeth wenig von den Versprechungen des Lebens, dafür aber viele Wünsche und Begehrlichkeiten.

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