Honigtot (German Edition)
Sein Sekretär bat die gnädige Frau, sich bis zum nächsten Morgen zu gedulden, dann wäre Herr Furtwängler sicherlich wieder erreichbar.
Aber Elisabeth wollte nicht warten. Sie fackelte daher nicht lange und dachte bei sich, wenn schon, denn schon, dann gleich ganz oben beginnen. Sie wählte die Büronummer des Generalfeldmarschalls Hermann Göring, Begründer der Geheimen Staatspolizei, Beauftragter des Vierjahresplans zur Aufrüstung der Wehrmacht - was eigentlich geheim war, aber darüber wusste jeder Bescheid - und zweiter Mann im Großdeutschen Reich.
Göring zählte, wie der Reichspropagandaminister Josef Goebbels, zum Kreis von Elisabeths Bewunderern. Es war eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera. Beide Männer hatten ihr ein um das andere Mal einen Blumenstrauß in die Garderobe gesandt, stets sorgfältig mit imposanten Visitenkarten versehen. Elisabeth war froh, dass sie nicht alle weggeworfen hatte, als hätte sie für diesen Tag in ihrem Leben geplant.
Herr Göring selbst war nicht präsent, aber sie konnte mit seinem Adjutanten Bodenschatz sprechen. Dieser informierte sie, dass der Herr Generalfeldmarschall noch im Haus wäre, vermutlich beim Führer, er aber die Nachricht der gnädigen Frau gerne übermitteln und der Herr Generalfeldmarschall zurückrufen werde, sobald sich ihm eine Gelegenheit dazu böte.
Das Wunder von Berlin geschah. Kaum eine halbe Stunde später klingelte ihr Telefonapparat in der Suite und der Herr Generalfeldmarschall meldete sich höchstselbst.
* * * * *
Göring war neugierig, was die verdiente Künstlerin von ihm wollte - hauptsächlich aus dem Grund, weil sein Intimfeind Goebbels sich bisher ohne Erfolg um die schöne Sängerin bemüht hatte. Nur um den Mann zu ärgern, hatte er, als er von dessen Interesse für sie erfahren hatte, Frau Malpran einige Male einen Blumenstrauß übersandt.
Als sein Adjutant Bodenschatz ihn informiert hatte, dass sie ihn in einer dringenden Angelegenheit sprechen müsse, hatte er spontan zum Hörer gegriffen. Da er überdies noch eine späte Verabredung mit einer rumänischen Delegation im Adlon hatte, in der es um Rohstofflieferungen für das Reich ging, würde er die Pflicht mit dem Angenehmen verknüpfen und bot Elisabeth an, sich zu einem kleinen Souper im Feinschmeckerrestaurant des Adlon zu treffen: „Sagen wir um acht Uhr dreißig?“
Elisabeth nahm seine Einladung wie eine Dame an. Anschließend widmete sie sich mit Sorgfalt ihrer Erscheinung. Wenn sie schon bei den Nazis betteln musste, dann sollte sie dafür so schön wie möglich sein.
Der Herr Generalfeldmarschall erschien uniformiert und pünktlich, wie üblich umgeben von einer kleinen Armee von Begleitern, die er allerdings im Foyer zurückließ. Er war inzwischen in die ersten korpulenten Jahre gekommen.
Elisabeth stellte bei sich fest, dass dies kaum Veranlagung sein konnte, denn angesichts der Menge der von ihm bestellten Köstlichkeiten für das „kleine Souper“ drohte der Tisch beinahe einzuknicken. Sie registrierte auch, dass der Mann ungesund aussah, blass und teigig, beinahe aufgeschwemmt. Auf jeden Fall wirkte er älter als seine fünfundvierzig Jahre. Gustav hatte ihr einmal erzählt, dass Göring einer der ältesten Weggefährten Hitlers wäre und bereits 1923 beim vereitelten Bierkeller-Putsch an dessen Seite zum Odeonsplatz marschiert war. Damals habe Göring einen schmerzhaften Oberschenkeldurchschuss erlitten und wäre seitdem morphiumsüchtig. Ausgerechnet ein jüdischer Kollege Gustavs, Robert Ballin, habe dem künftigen Reichsfeldmarschall Obdach in seinem Anwesen in der Residenzstraße gewährt.
Als Elisabeth, nachdem sie mühsam eine Lücke zwischen Görings Komplimenten für die „wunderbare, unvergleichliche Künstlerin“ und seinen ausschweifenden Monologen über die Qualitäten des Führers und die Wohltaten des Nationalsozialismus für das deutsche Volk insgesamt aufgetan hatte, endlich ihr Anliegen vorbringen konnte, musste sie zu ihrer Bestürzung entdecken, dass Göring selber darüber verblüfft schien. Elisabeths Hoffnung kollabierte in den Nachtisch.
Göring wusste nichts von Gustavs Verschwinden, wie er ihr denn auch freimütig eingestand. Er deutete noch viel mehr an: Ob die Gnädigste denn sicher war, dass Ihr jüdischer Mann Sie und Ihre Kinder nicht im Stich gelassen hätte? Und führte weiter aus, dass ihm persönlich dazu schon einige bedauerliche und ähnlich gelagerte Begebenheiten zu Ohren gekommen
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