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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
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    Stattdessen dachte Elisabeth mit einem leisen Lächeln an die erste Zeit ihrer Ehe, in der sie Gustavs Schlafraum unschicklich oft aufgesucht hatte, zu ungeduldig, um auf ihn zu warten. Und er hatte ihre Hand genommen, ihre Fingerspitzen geküsst und mit heiserer Stimme geflüstert: „Ich kann die Musik unter deiner Haut vibrieren fühlen, mein Liebling.“ Dann hatte er sie ganz fest in die Arme genommen und sie hatten schwebend den Raum verlassen und sich zusammen im Elysium verloren.
    Zuletzt ging sie in Deborahs Zimmer, das inzwischen der Jugend des Mädchens angepasst worden war, einschließlich Himmelbett und Frisiertisch.
    Noch immer konnte Elisabeth in diesem Raum den tröstlichen Geruch des Säuglings schmecken, sah die kleine Wiege vor sich und erinnerte sich mit Wehmut daran, wie Gustav und sie viele Male davorgestanden hatten. Sie hatten sich dabei an den Händen gehalten und auf das kleine Menschenwunder hinabgeblickt - vom ungläubigen Staunen aller Eltern dieser Erde erfüllt, dass dieses kleine Wesen durch sie beide entstanden war.
    Wo ist eigentlich Deborahs und Wolferls kleine Wiege hingekommen, fragte sich Elisabeth. Plötzlich wuchs sich diese Frage zu elementarer Wichtigkeit für sie aus. Sie musste unbedingt sofort herausfinden, was mit dieser geschehen war - als dächte sie, dass mit dem Verlust der Wiege auch Gustav für immer verschwunden bliebe. Sie lief und rief noch im Flur nach Bertha: „Bertha, sag, wo ist die alte Wiege der Kinder hingekommen?“
    Bertha stapfte ihrer Herrin entgegen. Ihre roten Backen wurden noch röter, als drängte alles Blut dorthin, während sie nachdachte. Sie knetete dabei ihr Geschirrtuch, als müsste sie die Antwort aus dem Tuch herauspressen. Jäh riss sie dann die Augen auf und verkündete ihren Gedankenblitz: „Auf dem Boden, gnädige Frau, auf dem Boden! Da hat der Hans früher alles Übrige verstaut.“
    Die Leiter wurde herbeigeschafft, Bertha leistete Schützenhilfe und hielt sie fest. Die Frau Doktor kletterte hurtig hinauf, stellte nebenbei fest, dass Ottilies Ordnungsdrang nie bis in den Dachboden hinaufgereicht hatte, zog aber nach kurzer Suche tatsächlich die kleine, von Meisterhand geschnitzte Wiege unter einem großen Leintuch hervor. Die Panik sank vor ihr in den Staub und sie konnte nun wieder einen klaren Gedanken fassen. Sie streichelte die Wiege mit einer zärtlichen Geste und deckte sie wieder sorgsam ab. Dann stieg sie nach unten, wehrte Bertha ab, die mit dem Küchentuch wedelte, um „Frau Doktor von den Spinnweben“ zu befreien, und deshalb zurück in die Küche geschickt wurde.
     
    Eine Stunde später zögerte Elisabeth immer noch, was sie tun sollte. Dabei spukte ihr ständig Gustavs letzter Satz in ihrem Kopf herum, dass die Sicherheit der Kinder immer Vorrang vor allem hatte!
    Natürlich, doch wie viel Sicherheit lag darin, mit den Kindern ins Ungewisse zu reisen, ohne Bescheid über Gustavs Verbleib? Was wäre, wenn er auf der Fahrt wegen der falschen Papiere verhaftet worden war? Dann musste sie hierbleiben und alles versuchen, um ihn wieder freizubekommen! Von London aus würde sie Gustav kaum von Nutzen sein.
    Immerhin kannte sie durch ihren Beruf einige hochgestellte Persönlichkeiten in Berlin. Nochmals ging sie in Gedanken alles durch. Von Meyerlinck hatte ihr dringend geraten, dass sie keine Zeit verlieren und sofort abreisen sollte. Dagegen sprach, dass alle ihre Papiere und Fahrscheine für den 15. Juni ausgestellt worden waren. Die Beschaffung hatte zuvor schon lange genug gedauert, unmöglich, alles in so kurzer Zeit umzuschreiben. Außerdem, mit Ottilie in Zürich und dem ungewissen Schicksal ihres Gatten, wie konnte sie da überhaupt an eine Abreise denken? Alles in ihr sträubte sich dagegen.
    Plötzlich sehnte sie sich schmerzlich nach ihrer Mutter, die leider zwei Jahre zuvor friedlich eingeschlafen war - was hätte sie jetzt nicht alles für deren tröstliche Präsenz gegeben.
    Es war furchtbar, da wälzte sie diese schweren Überlegungen, während die Zeit um sie herum wie flüchtiges Gas verrann. Sie wünschte sich, dass ihr Wille ein Strick wäre, um sie fest anzubinden. Wahrlich, dachte Elisabeth, die Zeit war wirklich die boshafteste Masse in Gottes gesamtem Universum - stets verhielt sie sich diametral entgegengesetzt zu den Wünschen der Menschen und besonders zäh und klebrig war sie in traurigen Zeiten.
    Sie warf einen unruhigen Blick auf die Uhr auf dem Kaminsims. Kurz nach ein Uhr.

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