Honigtot (German Edition)
* * *
„Nun, kleiner Bruder, wie geht es jetzt weiter? Was sehen deine Pläne vor?“, erkundigte sich Leopold im Plauderton, der viel zu harmlos wirkte, um dieses Sondierungsgespräch zu eröffnen.
Die beiden Brüder hatten sich nach Elisabeths Trauerfeier in Gustavs früheres Herrenzimmer zurückgezogen, das jetzt Albrechts war. Der Geruch von Gustavs Büchern erfüllte den Raum.
Albrecht stand mit dem Rücken zu Leopold an einem Servierwagen, der als Bar diente. Er wählte aus den mit verschiedenen Flüssigkeiten gefüllten Kristallkaraffen das Gewünschte aus, schenkte sich großzügig ein und wandte sich erst dann seinem Bruder zu.
Missmutig betrachtete er Leopold. Er wusste, dass Leopolds Frage nicht darauf abzielte, den Gemütszustand eines trauernden Witwers zu erforschen, sondern dass der Ältere ihn durchschaut hatte … Wieder einmal. Albrecht empfand es als sehr lästig, wie gut sein Bruder ihn kannte. Er sparte sich die Antwort und nahm stattdessen einen Schluck aus seinem Glas. Seinem Bruder bot er nichts an.
Leopold kniff die Augen zusammen und ging zum Angriff über. „Sag, wirst du die Mutter durch die Tochter ersetzen?“
Albrecht zuckte zusammen und vergoss einige Tropfen des kostbaren französischen Cognacs auf dem Eichenparkett.
Das war eine ungeheuerliche Behauptung - doch Leopold wusste, dass Albrecht nicht die Worte ärgerten, sondern wie schnell er ihm auf die Schliche gekommen war.
Seit ihrer gemeinsamen Kindheit war Leopold bewusst, dass die Gefühlsregungen seines Bruders keine tieferen Ausprägungen kannten; all sein Fühlen war von schier unersättlichem Ehrgeiz geprägt, der an ihm nagte wie ein böser Geist. Es war Leopolds Nemesis, dass er der Mutter, die um die Defizite Albrechts gewusst hatte, auf dem Totenbett versprechen musste, über den acht Jahre Jüngeren zu wachen.
Zwar irrte sich Leopold nicht gänzlich in seiner Einschätzung, aber ein wenig schon.
Albrecht, soweit zu diesen Gefühlen überhaupt fähig, war Elisabeth tatsächlich zugetan gewesen; sie hatte alle seine Erwartungen erfüllt. Sie zu besitzen, hatte ihm mehr Befriedigung beschert, als er es sich selbst erhofft hatte. Sogar Hitlers liebste Paladine, Göring und Goebbels, hatten ihn um Elisabeth beneidet. Durch seine Frau hatte er sowohl Zugang zu der gehobenen Gesellschaft gewonnen als auch deren Anerkennung und war in den engsten Führungskreis innerhalb der Reichskanzlei aufgerückt. Erst kürzlich hatte man ihn mit einer besonderen Geheimmission beauftragt, die als kriegsentscheidend eingestuft wurde.
Elisabeth, die Ehefrau, war betörend und anschmiegsam gewesen, eine zarte Kindfrau, die ihn nie in Frage gestellt, ihn ohne Bedingung für sich akzeptiert hatte und ihm als Retter ihrer Kinder in grenzenloser Dankbarkeit ergeben war.
Auch zwischen den Laken war er niemals von ihr enttäuscht worden. Manchmal, besonders am Anfang, hatten ihn ihr Temperament und ihre Leidenschaft selbst überrascht und mitgerissen. Ohne Zweifel, sie war ein Verlust für ihn.
Er selbst hatte sich an den interessanten Gedanken, den Leopold ihm soeben vorweggenommen hatte, noch gar nicht richtig herangewagt.
In der Tat, Elisabeths Tochter war vielversprechend und stand ihrer Mutter an künstlerischem Talent in keiner Weise nach, wie ihm Elisabeth selbst versichert hatte. Auch ihr stand eine große Karriere bevor, die ihm nutzen konnte. Dazu kamen ihre Jugend und ihre exotische Erscheinung, auch wenn sie nicht an die Schönheit ihrer Mutter heranreichte. Aber es lag etwas in Deborahs Augen, etwas Tiefes, etwas Provokantes, das ihn schon länger reizte. Ja, es würde bestimmt Spaß machen, das junge Fohlen für sich zuzureiten. Es lohnte sich auf jeden Fall, sich mit dieser Möglichkeit zu befassen. Gleichzeitig konnte er Leopold die verdiente Lektion verpassen. Zu lange hatte sein älterer Bruder ihn bevormundet.
Leopold hatte inzwischen seinen Bruder nicht aus den Augen gelassen. Er begrub nun seine letzten Hoffnungen auf einen möglichen Irrtum seinerseits.
„Es stimmt also. Albrecht, Albrecht, du bist wahrlich ein schlimmer Junge. Du begehrst wirklich alles, nicht wahr? Erst die Güter des Arztes, dann die Ehefrau und jetzt die Tochter. Ich weiß, ich kann dich nicht zähmen, also werde ich weiter auf dich und deine Dämonen aufpassen müssen, damit sie nicht zu früh lossausen, um dich zu holen. Aber ich will dich warnen! In dem Mädchen ist nichts Sanftes, auch wenn es nach außen hin so erscheint. Sie
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