Honigtot (German Edition)
Menschen nur deshalb an Stärke gewannen, weil sie sich mit sadistischer Gewalt als die allen überlegene Herrenrasse aufspielen konnten.
Weil Leopold noch eine Weile benötigen würde, bis er dies verinnerlicht haben würde, folgte er seinem eigenen Manuskript und sah sich genötigt, dabei ein wenig auf den ihm verhassten Nazi-Paragraphen zu reiten: „Albrecht, Albrecht, wie sieht denn das aus? Die Tochter deiner Frau, mehr als zwanzig Jahre jünger und überdies die Tochter eines jüdischen Arztes? Du weißt es sicherlich besser als ich, aber ist eine Verbindung zwischen einem Arier und einem Menschen mit jüdischem Blut nicht gesetzlich verboten worden? Wird da deine Zunft nicht aus vollem Halse Rassenschande plärren? Ich denke nicht, dass du allen Ernstes vorhast, dich auf dem Höhepunkt deiner Karriere selbst zu ächten, nicht wahr?“
„Leopold, Leopold“, äffte sein Bruder ihn süffisant nach. „Wer hat denn behauptet, dass ich es offiziell tue und sie heiraten werde?“
„Du willst das arme Mädchen zu deiner Geliebten machen?“ Leopold musste arg an sich halten, um nicht aus der Soutane zu fahren. Gleichzeitig suchte er fieberhaft nach einer neuen Taktik. Es wollte ihm bloß keine einfallen, zu sehr tobten die aufgewühlten Gedanken durch seinen Verstand.
Albrecht gab sich keine Mühe, zu verbergen, wie sehr es ihn freute, seinem Bruder die Sprache verschlagen zu haben. Mit Genuss leerte er sein Glas. „Fein, du hast es begriffen. Also, wie mache ich mir das Mädchen gefügig?“
„Vergiss es, ich werde dir nicht dabei helfen. Du musst es dir aus dem Kopf schlagen, Albrecht.“ Er bemerkte selbst den beschwörenden Ton in seiner Stimme. An der Art, wie sich der lauernde Ausdruck im Gesicht seines Bruders in Zufriedenheit verwandelte, erkannte er seinen folgenschweren Lapsus. Er hatte Albrecht gerade in die Hand gespielt, indem er ihm offenbart hatte, wie sehr ihm das Schicksal der beiden Kinder am Herzen lag.
„Aber natürlich wirst du mir helfen, großer Bruder. Apropos, kennst du T4?“
„Nein, was soll das sein? Ein neuer Panzer?“ Leopold versuchte Gleichmut vorzutäuschen, während sich gleichzeitig alle seine Muskeln verkrampft hatten.
„Das, mein Lieber, ist das Euthanasieprogramm unseres Führers. Es ist schon seit Oktober 1939 in Kraft. Der Beschluss sieht vor, dass unwertes Leben vernichtet werden soll, damit es sich nicht fortpflanzen kann. Er dient dazu, unser Blut rein zu erhalten und unsere Rasse zu schützen. Ich sollte vielleicht erwähnen, dass das T4-Programm nicht zwischen geistiger oder körperlicher Behinderung unterscheidet.“
Dieser Hinweis und die darin versteckte Anspielung auf das hinkende, achtjährige Wolferl war von einer solchen Gemeinheit und gefühlskalten Abscheulichkeit, wie sie selbst Leopold, der geglaubt hatte, alle Abgründe seines Bruders zu kennen, nie von ihm erwartet hätte.
Der heilige Zorn schoss Leopold ins Gesicht. Nur mit äußerster Mühe gelang es ihm, sein Temperament rechtzeitig zu zügeln.
Am liebsten hätte er seinem Bruder sofort eins auf die selbstgefällige Nase gegeben, um dessen reines Blut daraus hervorschießen zu sehen. Leopold vermochte zwar sein Temperament zu zügeln, aber nicht seine Worte. Erbost erwiderte er: „Da habt ihr wohl Euren Dr. Goebbels mit seinem Klumpfuß völlig übersehen, hm? Wo er doch so viele Kinderlein produziert?“
„Leopold, welcher Hafer sticht dich denn jetzt? Gerade du, ein Mann der Kirche, hältst unser Humpelstiltzchen Dr. Goebbels für lebensunwert? Ich muss schon sagen, ich erkenne dich nicht wieder.“ Albrecht fand seine Replik allem Anschein nach spaßig.
„Ich folge lediglich der Infamie eurer Ideologie, Albrecht, die selbst aus dem letzten Winkel noch das hinterlistige Böse hervorkriechen lässt. Aber du hast Recht, ich halte Goebbels nicht wegen seines Fußes für lebensunwert, denn Gott kennt viele Rassen und Formen. Nein, vielmehr für das, wofür er steht und was er propagiert. Vielleicht sollte man einmal seinen Geist untersuchen lassen, hm?“
„Schluss jetzt, Leopold. Ich erkenne deine Absicht, vom eigentlichen Thema abzuschweifen. Wenn Deborah freiwillig zu mir kommt, so ist doch allen besser damit gedient, als wenn ich sie mir mit Gewalt nehmen muss. Da stimmst du mir doch zu, Onkel Poldi ? Also, es gilt: Du spielst sie mir zu und ich halte weiter meine schützende Hand über beide Kinder.“ Er sah das gequälte Gesicht Leopolds, seine Abneigung und seinen
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