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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
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hatte. Wie sie es dann im Jahr darauf nochmals gemeinsam mit ihrer Mutter versucht hatten und ihre Fahrt schon am Bahnhof in München geendet hatte.
    Jetzt befand sie sich plötzlich hier, in der freien Schweiz, und kurz durchzuckte Deborah der Gedanke: Warum nicht einen günstigen Augenblick abwarten, wenn Albrecht nicht aufpasste, und weglaufen? Hier gab es keine Nazis und Albrecht hatte demnach hier nichts zu sagen. Doch sie verwarf diese Verlockung gleich wieder. Sie dachte an ihren kleinen Bruder zuhause, der außer ihr niemanden mehr auf dieser Welt hatte. Niemals würde sie Wolferl im Stich lassen!
    Um ihre Überlegungen zu überspielen, sagte sie das Erstbeste, was ihr einfiel: „Was war denn in deinem Koffer?“
    Sie hatte sich eigentlich keine Antwort erhofft, doch Albrecht war heute nicht nur mit Devisen freigebig, sondern auch mit Worten. Er klopfte kurz mit dem Handknöchel auf den neben ihm am Boden stehenden Koffer und erwiderte: „Meine Versicherung.“
    Deborah wusste, was Versicherungen waren, darum ergab die Antwort für sie eigentlich keinen wirklichen Sinn. „Warum musst du deine Versicherung im Keller einer Bank in der Schweiz verstecken?“
    „Weil der Krieg irgendwann vorbei sein wird. Trink deine Schokolade aus, Deborah. Wir wollen gehen.“
     
    Sie fuhren weiter nach Zürich. Erneut konnte sich Deborah kaum an der Lieblichkeit der vorbeiziehenden Landschaft sattsehen, als hätte ein Maler in ihr seine Vorstellung von einer Oase des Friedens geschaffen.
    Es versetzte das junge Mädchen in eine beinahe überschwängliche Stimmung und verdrängte kurzfristig sogar ihre Trauer. Sie konnte fühlen, wie in ihr das Versprechen der Zukunft und das Sehnen der Jugend erwachte.
     
    * * * * *
     
    Albrecht hatte als Logis im Züricher Nobelhotel Baur au Lac eine Suite mit zwei Schlafzimmern für sie reserviert. Es lag inmitten der Natur und doch in der Stadt, in einem eigenen Park am Ufer des Zürichsees.
    Als Deborah im Licht der frühen Nachmittagssonne den in der Sonne glitzernden See vor sich sah und die Boote, die idyllisch auf ihm schaukelten, hätte sie am liebsten wie ein kleines Kind gejauchzt.
    Die neuen Eindrücke waren überwältigend. Der Empfangschef des Baur hatte sie sogar mit Madame angesprochen! Nie zuvor war sie wie eine Erwachsene behandelt worden. Ihre jugendliche Begeisterung brach sich schließlich Bahn, als sie die luxuriöse Suite betraten. Aufgeregt sauste Deborah zwischen den Zimmern umher, schwelgte im Stil und der Eleganz der beiden Schlafzimmer und des Salons und entdeckte dann mit einem Jubelschrei den Prunk des riesigen Marmorbades, das ebenso groß schien wie ihr Zimmer zuhause in München.
    Albrecht trat lächelnd hinter sie und meinte: „Du kannst gerne ein Bad nehmen. Ich muss leider noch einmal weg. Es wird sicherlich spät werden. Am besten, du bestellst dir dein Abendessen auf das Zimmer.“
    Er küsste sie auf die Stirn und ließ sie allein. Deborah wusste nicht warum, aber sie fühlte eine leise Enttäuschung.
    Albrecht kehrte erst spät in der Nacht zurück und ließ sie auch am folgenden und am darauffolgenden Tag allein im Hotel zurück. Deborah langweilte sich bald und lernte, dass man sich auch an den größten Luxus sehr schnell gewöhnen konnte.
    Sie nahm jeden Morgen ein ausgiebiges Schaumbad, spazierte zweimal täglich zum See, fütterte die Enten und betrachtete sehnsüchtig die kleinen Boote, sie erforschte Park und Umgebung und kannte sich bald im Inneren des Hotels so gut aus, dass sie im Dunkeln zurück zu ihrer Suite hätte finden können.
    Der einzige Ort, den sie noch nicht aufgesucht hatte, war die Hotelbar. Gleich am ersten Tag hatte sie von dort Pianospiel gehört, aber sie hatte es nicht gewagt, diese allein zu betreten.
    Sie hielt den Pianisten für gar nicht so schlecht, sein Spiel klang leicht und flüssig, jedoch wenig beseelt. Aber natürlich spielte er nicht auf einem Podium für ein kunstinteressiertes Publikum, sondern produzierte Musik in Ton und Masse.
    Er ist nicht so gut wie ich , urteilte sie nüchtern und ohne den Tenor von Eitelkeit. Ihr absolutes Gehör stellte vor allem fest, dass das Piano neu gestimmt werden musste.
    Am vierten Tag nahm sie all ihren Mut zusammen und stolzierte mit erhobenem Kopf und vorgetäuschter Selbstsicherheit in die Bar, als entspräche es ihrer Gewohnheit, ständig allein auszugehen.
    Der Pianist trug einen Frack mit Schwalbenschwänzen, war klein und schmächtig und sein Haar an den

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