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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
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Himmel eine trübseligere Gestalt geben als einen Priester, der das Vertrauen in sich selbst verloren hatte, fragte er sich. Ihm kamen die letzten Worte aus Goethes `Selige Sehnsucht´ in den Sinn: Bist nur ein trüber Gast auf dunkler Erde. Genauso war ihm zumute. Niemals wieder würde er der alte Leopold werden können.
    Er war nur mehr der Schatten seiner eigenen Gegenwart, kaum mehr als ein Schemen seiner früheren Identität. Seine heitere Fröhlichkeit war nur noch aufgesetzt und seine Inbrunst im Gebet nichts weiter als eine verzweifelte Fürbitte für das baldige Ende der Herrschaft des Bösen. Aber er ahnte, dass bis dahin noch viele Opfer gebracht werden mussten und dass den nachfolgenden Generationen eine schmerzliche Rechnung präsentiert werden würde.
    Wie viel Tod und Vernichtung sich am Ende vor den Augen der Welt auftürmen würden, entzog sich sogar seiner eigenen, spirituellen Geisteskraft.

 
     

    Kapitel 3 5
     
     
    ST. GALLEN und ZÜRICH/Schweiz, im März 1941
     
    Zwei Wochen später, am letzten Tag des März, dessen anbrechender Morgen bereits den Duft und die Verheißung des Frühlings in sich trug, brach Deborah mit Albrecht in Richtung Schweiz auf. Inzwischen kam ihr sein Vorname leicht über die Lippen.
    Albrecht erschien diesmal ohne Chauffeur. Er trug einen eleganten, dunkelgrauen Anzug mit einem seidenen Schlips. Dies war das erste Mal, dass Deborah ihn ohne Uniform erlebte und es gefiel ihr. Für sie warfen Uniformen immer den bedrohlichen Schatten von Gewalt.
    Die gemeinsame Reise führte sie über Landsberg, Memmingen und Bregenz nach St. Gallen, ihrer ersten Station.
    Deborah hatte die kurze Fahrt durch das schweizerische Land genossen: Die satten Farben der Wiesen und Almen, die schwarzweißen Kühe, gemächlich wiederkäuend und mit sanftem Blick, gefielen ihr. Überhaupt hinterließ das Land bei ihr gleich zu Anfang einen starken, friedlichen Eindruck. Sie war schon lange nicht mehr aus München herausgekommen und die Stadt war ihr grau geworden. Aber die Schweiz wirkte auf sie wie eine Vision der Unschuld, ruhig und irgendwie friedvoll.
    Albrecht parkte seine Limousine in der St. Leonhardstraße. Er stieg aus und holte einen ledernen Aktenkoffer hinter dem Fahrersitz hervor. Die Art, wie er ihn trug, überzeugte Deborah, dass er über ein ziemliches Gewicht verfügen musste.
    Gemeinsam steuerten sie auf das imposante Gebäude der Credit Suisse zu, einem riesigen, klassizistischen Bau. Deborah verharrte kurz davor. Ihr gefiel die stille Vornehmheit des Baues – sie wirkte auf eine besondere Art zurückhaltend. Bis sie verstand, warum dem so war: Nirgendwo flatterten die ansonsten allgegenwärtigen, blutroten Fahnen mit dem Hakenkreuz im Wind - wie sie überhaupt in der gesamten Stadt fehlten. Deborah war schon viel zu sehr an die schiere Masse der Hakenkreuz-Beflaggung gewöhnt gewesen, dass sie ihr zuhause gar nicht mehr auffielen. Jetzt, da sie nicht vorhanden waren, übte dies tatsächlich eine tröstliche Wirkung auf sie aus. Eine Welt zu entdecken, in der es keine Nazis gab, stimmte sie froh.
    Albrecht meldete sie am Empfang an und sie wurden mit dem Fahrstuhl in den Keller geleitet. Dort ließ er Deborah im Vorraum der Schließfachhalle in der Obhut des Bankbeamten zurück. Nach kaum zehn Minuten kehrte er zurück und Deborah glaubte zu erkennen, dass der Koffer jetzt leer war.
    Albrecht lud sie anschließend in ein Café ein. Auf der Eingangstür stand in feinen goldenen Lettern: Confiserie & Chocolaterie.
    Beim Eintreten empfing sie ein schwerer, süßer Duft, der Deborah den Mund wässerte. Die Auslagen allein waren ein Fest fürs Auge. Die lange Theke und unzählige Vitrinen quollen über in einer verwirrenden Anzahl feinster Pralinen und Schokoladen.
    Kurz darauf schwelgte Deborah in einer dicken, zartbitter schmeckenden Tasse heißer Schokolade, garniert mit einem großen Klecks fetter Sahne, und aß dazu ein turmhohes Stück Nusstorte. Albrecht, in Spendierlaune, erlaubte ihr anschließend großzügig, sich so viele Pralinen auszusuchen, wie sie nur wollte. Sicherlich nahm sie zu viel von allem, aber Albrecht hatte sie ja dazu ermuntert und er murrte nicht beim Bezahlen in der fremdländischen Währung, dem Franken.
    Als Deborah die Scheine in seinen Händen sah, überfiel sie eine jähe Traurigkeit. Sie dachte daran, wie ihre Familie damals, vor bald vier Jahren, in die Schweiz hatte flüchten wollen, und ihr Vater deshalb extra einen Packen Franken besorgt

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