Honigtot (German Edition)
zu begegnen, ihm beim Tee gegenüberzusitzen und dann auch noch mit Lob überschüttet zu werden! Sie saßen noch sehr lange zusammen und schwelgten in Musik und in Erinnerungen.
* * * * *
Am sechsten Tag sagte Albrecht beim gemeinsamen Frühstück auf ihrer Suite: „Heute habe ich Zeit für dich, Deborah. Ich muss nur einige Telefonate nach Paris führen. Danach gehen wir ein Abendkleid für dich kaufen. Zur Belohnung für deine Geduld werde ich dich am Abend in das berühmte Feinschmecker-Restaurant Français ausführen.“
Albrecht telefonierte nebenan fließend in französischer Sprache. Deborah war erstaunt, dass er diese Sprache beherrschte, aber ihr eigenes Studium darin war ebenfalls sehr gründlich gewesen. Sie liebte den Klang und den weichen Rhythmus. Albrecht schien in seinem Telefonat irgendwelche Zugfahrten von der französischen Stadt Compiègne nach Belzec zu organisieren, und es ging dabei um Selektion und Auslastung.
Dies war das erste Mal, dass Deborah einen Einblick in die geheimnisvolle Tätigkeit ihres Stiefvaters erhielt. Als sie ihn später fragte, ob ihre Reise sie auch nach Frankreich, nach Compiègne, führen würde, da hatte sie den Eindruck, dass er über ihre Frage nicht besonders erfreut schien.
Danach telefonierte er nie wieder in ihrer Gegenwart, in keiner Sprache.
Albrecht und Deborah verbrachten fast den ganzen Tag auf der noblen Züricher Bahnhofstraße mit seinen eleganten Geschäften und Cafés. Das Wetter war trüb und der Himmel fahl und zwischendurch setzte immer wieder ein leichter Nieselregen ein, aber die Straße selbst summte vor Betrieb. Deborah glaubte nicht, schon einmal so viele Damen in feinen Pelzen an einem einzigen Tag angetroffen zu haben.
Albrecht erwies sich als ein Mann mit erlesenem und sicherem Geschmack. In der besten und teuersten Boutique am Platze suchte er für Deborah zwei wunderschöne Abendkleider aus: Das eine schimmerte in cremefarbenem Satin und wirkte allein durch seine schlanke und schlichte Silhouette, das andere hingegen war aus tiefviolettem Samt - ein Ton, der genau die Farbe ihrer Augen traf, und es war skandalös schulterfrei geschnitten. Dazu gehörten jeweils ein Paar ellenbogenlange weiße Handschuhe. Deborah war insgeheim froh darüber, da sie ihre Narben an den Unterarmen verdecken würden.
Albrecht pochte auf eine vollständige Ausstattung und erstand noch die passenden Sandaletten und Abendtäschchen in der jeweiligen Farbe des Kleides.
Zum Schluss führte er sie in ein edles Juweliergeschäft. Der Besitzer bediente sie persönlich. Trotz Deborahs verlegener Gegenwehr insistierte Albrecht, ihr eine einreihige echte Perlenkette und passende Perlenohrstecker zu schenken. Die Kette lag kühl und leicht um ihren schlanken Hals und vermittelte Deborah ein Gefühl von Kostbarkeit und Erwachsensein.
Sie behielt sie gleich an und immer wieder tasteten ihre Finger danach, um sich zu vergewissern, dass sie sie nicht verloren hatte. Zwischen ihren Einkäufen nahmen sie ein leichtes Mittagsmahl zu sich - in einem winzigen Feinschmeckerrestaurant mit nur sechs Tischen.
Am späten Nachmittag kehrten sie in angeregter Stimmung in das Baur au Lac zurück. Albrecht brachte die Idee vor, dass Deborah den hoteleigenen Friseur aufsuchen könnte, um ihrem langen Haar etwas Fa ço n zu geben.
Kapitel 3 6
Erinnerungen haben ihre eigene Sicht der Dinge. Wenn Deborah Jahre später an den Zauber jener ersten Tage mit Albrecht zurückdachte, dann bewahrte sie sie in ihrer Erinnerung als Tage mit strahlendblauem Himmel und hellem Sonnenschein, die nicht eine Wolke getrübt hatte. Sie war jung und unerfahren gewesen und hatte noch nicht durchschaut, dass es nur ein flüchtiger und vorübergehender Traum sein würde.
Gerade darum hatte sie die wenigen und vollkommenen Augenblicke des Glücks auf das Intensivste auskosten können; erlebtes Glück war sicheres Eigentum, das einem niemand mehr fortnehmen konnte, und lange noch zehrte Deborah davon.
* * * * *
An Albrechts Arm betrat Deborah an diesem Abend das Restaurant Français. Sie wusste, dass sie schön war, noch bevor sich die Köpfe der Gäste mit einer einzigen fließenden Bewegung dem eleganten Paar am Eingang zuwandten.
Der ganz im imperialistischen Stil gehaltene Saal mit seinen funkelnden Kronleuchtern, den blattgoldverzierten Stuckdecken und dem spiegelnden Eichenparkett bildete einen perfekten Rahmen für ihren Auftritt.
Deborah hatte sich
Weitere Kostenlose Bücher