Honky Tonk Pirates - Das verheißene Land - Band 1
Nächte. Und wenn du’s genau wissen willst, befinden wir uns gerade in Phase zwei von Gabis menschenfreundlichem Plan: Die tote Haut in unseren Gesichtern lockt seit gestern die Möwen an und es wäre schön …«
Er trat ein zweites Mal nach einem Vogel, bevor der Will angreifen konnte.
»Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du dich ab jetzt selbst beschützen könntest. Ich müsste mich nämlich mal konzentrieren.«
Er schenkte Will einen strengen Blick.
»Weißt du, sonst werden wir allesamt noch verrückt. Ich meine, wenn wir erst einmal blind sind, keine Zunge mehr haben und uns der Skorbut die Zähne zieht. Abgesehen von den uns skalpierenden Wilden«, summte der Chevalier du Soleil und dann begann er zu singen.
Er sang irgendwelche Laute, die in ihrer Fremdartigkeit beinahe kindlich klangen, albern oder naiv. Und während Will verzweifelt auf die nächste ihn attackieren wollende Möwe starrte …
»Wie bitte, was? Was machst du denn da? Ich kann mich nicht wehren!«
… rief Talleyrand zu ihnen herab: »Ich wünsche euch viel Spaß, und falls dir deine Augen doch etwas wert sind, verrätst du mir einfach, wo die Amulette sind.«
Mit diesen Worten verschwand er vom Bug und obwohl die ihn umkreisende Möwe Will nicht aus den Augen ließ, hatte der nur einen Gedanken: Die Mütze! Jos Mütze! Sie war nicht mehr auf seinem Kopf!
Verflucht! Und sein Kopf tat ihm weh. Moses’ Gesang nervte ihn unglaublich und dann griff der Vogel auch noch an.
»Nein!«, schrie Will wütend und in seiner Wut riss er eine Hand aus der Fessel, packte das vor Schreck kreischende Tier und schleuderte es in die Wellen.
»Hast du nicht gehört, was Jo gesagt hat: Wir stopfen dich aus!«, schimpfte er zornig und warf einen Blick auf seinen Freund in der inständigen Hoffnung, die Mütze doch noch auf seinen krausen Haaren zu sehen. Aber der hing barhäuptig und kopfüber am Klüverbaum.
»Jo«, fluchte Will, »Jo, wo ist deine …«
Da sang der Chevalier lauter, fiel ihm mit seinem Gesang ins Wort und brachte den wütenden Jungen zum Schweigen.
»Halt deinen Mund!«, zischte er zwischen zwei Zeilen. »Um Mutter Erde willen,Will, halt deinen Mund!«
Er flehte ihn an und dann sang er weiter. Lauter als vorher und Will verdrehte die Augen. Er beobachtete zwei Möwen, die ihn umkreisten. Dann waren es drei, vier und plötzlich schon sieben.
»Will!«, hörte er Jo hinter sich rufen. »Moses und Will! Hier sind noch einmal zwölf von den Biestern.«
»Zwölf?«, schluckte Will. »Dann sind es schon 19. Aber was soll’s? Damit werden wir fertig. Jo, guck mich doch an. Immerhin habe ich einen ganzen Arm frei.Was brauche ich mehr?«
Er winkte den Möwen, die immer zahlreicher wurden. Jetzt sah er schon 30.
»Na, kommt schon! Kommt her! Ich mach euch fertig! Ja, ich mach euch fertig, indem ich hier warte. Ich warte euch einfach und ganz simpel tot. So wie das Piraten nun einmal tun. Oder irre ich mich, hey, Kikeriki?«
Will lachte jetzt spöttisch.
»Na, kommt schon. Ich warte!«
Da schossen die Vögel direkt auf ihn zu. 30, nein, 40 stürzten sich schreiend auf ihn und Will schloss die Augen.
»Ja, kommt schon. Los, kommt! Ich warte auf euch!«
Er ließ den freien Arm hängen. Er gab sich auf. Gleich würde er ihre Schnäbel und Krallen im Gesicht spüren. Doch das Schreien und Flattern der Tiere verstummte und stattdessen hörte er Moses’ Gesang, der jetzt, mit Wind und Wellen verschmolzen, überhaupt nicht mehr lächerlich klang.
»Will!«, rief Jo. »Das wirst du nicht glauben.«
Und als er die Augen aufschlug, gab Will ihm recht.
Die Möwen hatten sich alle beruhigt. Sie saßen brav auf dem Bugspriet. 30 von ihnen hockten dort nebeneinander und Tausende drängten sich auf den Rahen, den Masten, der Takelage, der Reling, ja, selbst zwischen den Zahnreihen des Haifisches hatten sie es sich gemütlich gemacht. Sie bedeckten das Schiff, als hätte es gerade geschneit und als Will zum Franzosen blickte, zwinkerte der ihm spitzbübisch zu.
»Wie machst du das?«, fragte der staunende Junge. »Ist das auch ein großes Geheimnis?«
Aber Moses Kahiki, der Chevalier du Soleil, sang einfach weiter. Er sang und er lächelte und dann grinste er breit: »So, und jetzt lass ich sie scheißen.«
DAS GEHEIMNIS DES ROTHAARIGEN SOLDATEN
A ls der Mond in dieser Nacht aufging, schien er auf einen dreimastigen Schoner, der aussah, als hätte man ihn samt Segeln, Masten und Mannschaft einmal in flüssiges Wachs getaucht.
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