Honky Tonk Pirates - Das verheißene Land - Band 1
Großmast, wo die Schwankungen des Schoners am geringsten ausfielen, beruhigte sich Jo, und langsam beruhigte sich auch Wills rasendes Herz. Und während Jo übel wurde, weil er sich ganz plötzlich daran erinnert hatte, dass er schon immer seekrank gewesen war, obwohl er noch nie zur See gefahren war, erinnerte sich Will an den kleinen silbernen Krebs in der Hosentasche von Moses Kahiki.
Er strafte den Franzosen mit einem Blick, der bereit war zu töten: »Ich hasse deine Geheimnisse. Ich hasse sie, hörst du?«
Doch der Chevalier du Soleil lachte nur laut. »Ist das dein Ernst?«, fragte er Will. »Ich dachte, du freust dich, wenn jemand das Schiff für dich putzt.« Er jauchzte vor Freude, als eine Welle über sie und das Deck hinwegrollte. »Und es wäscht dich gleich mit.« Er umarmte den Jungen. »Oh, ich liebe das Meer!«
»Ja«, brummte Will und streifte Moses’ Arm von der Schulter. »Aber ich lieb es noch mehr, wenn es mich nicht umbringen will.«
»Umbringen?«, fragte Moses und schüttelte hilflos den Kopf. »Das bisschen Seegang?«
In diesem Moment kippte der Schoner über eine haushohe Welle und stürzte Bugspriet voraus ins nachtschwarze Tal. Der Rumpf schien zu bersten, so ächzte das Holz, doch Moses stand auf. Er stand da, im Sturzflug, und jauchzte vor Freude, als das Schiff bis zum Vordeck ins Wasser eintauchte.
»Umbringen!« Moses schenkte Will einen verächtlichen
Blick. »Da hab ich doch recht gehabt, Karl Otto Stupps. Einer, der so heißt, kann nur’ne Landratte sein.«
Er setzte sich wieder, kramte in seinen Taschen, zog eine Pfeife und Tabak heraus und während er sie singend zu stopfen begann, ließ er den Jungen nicht aus den Augen.
Der kochte in seiner beleidigten Leberwurstwut.
»Landratte!« Moses schüttelte grinsend den Kopf und sog den Rauch durch den Stummelstiel ein. »Er glaubt, er muss sterben an so einem Windchen.«
Da brach der Vormast und stürzte aufs Deck.Will stockte der Atem und dann starrte er zitternd auf die eisenbeschlagene Spitze des Fock-Flaggentopps. Die hatte sich nur eine Handbreit vom Schritt seiner Hose entfernt in die Deckplanken gebohrt.
»Siehst du, was hab ich gesagt?« Moses Kahiki paffte genüsslich weiter, als sich vom Großmast her eine Stimme einmischte.
»Der Junge hat recht. Du paktierst mit dem Teufel.«
Will, Jo und Moses drehten sich um.
»Ja, spar dir den Spott. Ich weiß, wovon ich rede. Ich kenne die Hexereien, mit denen du prahlst.«
»Ach ja?« Moses horchte stirnrunzelnd auf. »Und wer ist dieser in schwarzer Magie gebildete Mann? Hat er ein Gesicht oder ist er der Großmast, Professor Großmast, Klugscheißer Großmast, mit dem ich hier spreche?«
Da krabbelte ein Soldat hinter dem Masten hervor. Er war einer der verkauften Soldaten und er sah fürchterlich aus: totenbleich, als hätte er nicht nur den Inhalt seines gebeutelten Magens, sondern sein ganzes Blut herausgekotzt. Die roten Haare klebten an ihm wie rostiger Dreck und deshalb dauerte es auch einen Augenblick, bis Will ihn erkannte. Der Kerl wirkte wie einer, an dem der Tod klebte wie die Fliegen auf den Pferdeäpfeln
im Sommer Berlins. Seine Augen blickten glasig aus Angst vor dem Tod. Ja, aber nicht vor dem eigenen. Nein, das konnte Will sehen. Das, was diesen Kerl quälte, hieß schlichtweg nur: Sorge. Und als er dieses Wort dachte, bemerkten sie, Jo und Will gleichzeitig, die abstehenden Ohren.
Das ist ihr Vater!, schoss es Will durch den Kopf, doch der kleine Jo war noch schneller.
»Hallo«, rief er freudig und löste das Seil, das ihn an die Bodenluke band und vor dem Sturm retten sollte. Doch der war dem kleinen Jungen jetzt schnurzpiepegal. »Ich kenne Eure Töchter!«, freute er sich und lief zu ihm hin. »Rachel und Sarah! Sie sind wirklich ganz goldig.«
Die Augen des Vaters leuchteten auf.
»Ja, ich kenne sie nicht nur. Ich kenn ihren Traum. Denn ich hab mit ihnen Apfelstrudel verputzt. Eulenfels’Apfelstrudel und Spanferkel, mhm, in Mandeln und Honig. Es geht ihnen prächtig. Versteht Ihr mich, Herr? Sie sind frei, ja, und reich, sie werden es schaffen, denn mein Freund, ja mein Freund …«
Er zeigte auf Will.
»… mein Freund, Höllenhund Will, der berühmte Pirat von Berlin, hat ihnen seinen ganzen Schatz hinterlassen.«
Jo strahlte vor Glück. Für ihn waren Momente wie dieser, in denen er so etwas erzählen konnte, wie für Moses das Meer oder für Will der Traum, dass er einmal Pirat sein würde.
»Ihr könnt mir glauben.Wirklich, ich
Weitere Kostenlose Bücher