Honky Tonk Pirates - Der letzte Horizont: Band 6 (German Edition)
herzlosen Rumpf und den vom Entsetzen gezeichneten Kopf die endlosen Stufen des Tempels hinab, wo sie von den Bewohnern der Stadt wie Bälle mit Netzen gefangen und danach gefressen wurden. Hast du davon gehört?«
Will schüttelte langsam und sprachlos den Kopf. Nein, das hatte er nicht, und er wusste auch nicht, ob er mehr hören wollte.
»Nun, die Azteken wurden von Cortez besiegt. Der Kerl war nicht besser als diese Indianer. Aber er hat zumindest die Menschenopfer verboten. Es gibt sie nicht mehr.«
Der Baron musterte Will, ob dieser verstand.
»Aber das war nicht gut?«, fragte Will vorsichtig, der langsam zu begreifen begann.
»So kann man es nennen«, antwortete Talleyrand. »Denn die Azteken hatten ihre lustige Sprache von den Göttern bekommen. Götter, die sie zu besänftigen versuchten, weil diese noch viel grausamer waren.«
»Und die immer noch da sind«, hauchte Will heiser, aus Angst vor der Ahnung, die in ihm aufstieg.
»Ja, du bist klug«, sagte der Schwarze Baron, und für einen halben Herzschlag huschte ein gelber Schatten über seine Augen.
Vogelaugen, dachte Will, und dann sprach er weiter. Er konnte nicht anders. Er musste Gewissheit haben. »Und diese Götter, von denen du sprichst, vermissen ihre Blutopfer. Sie leben da oben zwischen den beiden Vulkanen und haben dir das angetan.«
Talleyrands Augen waren wieder hellbraun.
»Aber warum?«, fragte Will.
»Warum, warum?«, meldete sich Gagga zu Wort, von dem sie gedacht hatten, er würde noch schlafen. »Weil er nicht gut genug gewesen ist. Quatsch, ich mein: böse.«
Er gähnte und rekelte sich gelangweilt.
»Gabi war nicht böse genug und da haben sie etwas nachgeholfen. Sie haben’s ihm sozusagen eingefleischt. Auf den Rücken gemalt. In der Körper geschnitten, und die Schreie, die unser Gabi dabei in seinen unvorstellbaren Schmerzen von sich gegeben hat, waren für diese Bastarde eine unwiderstehliche Melodie.«
Er gähnte noch einmal, streckte sich und stützte sich auf den Ellenbogen.
»Und jetzt hab ich Hunger!«
Er packte sich ein faustgroßes Stück Käse, biss grinsend hinein und sprach dann mit übervollem Mund.
»Huh, der Käse ist gut. Aber weißt du, was Gabi jetzt mit dir vorhat?«
Er schielte zu Will und Talleyrand.
»Los, sag es ihm, Onkel. Komm schon, erzähl’s ihm. Erzähl ihm vom Pakt mit dem richtigen Teufel. Nein, den richtigen Teufeln, besser gesagt.«
Er kicherte und spuckte dabei eine Wolke aus Käsekrümeln aus.
»Er macht das, was ihr Piraten so gern immer von euch behauptet. Er fährt in die Hölle und nimmt dich und mich mit. Nur dass diese Hölle nicht da liegt, wo wir es vermuten. Sie liegt nicht unter der Erde, sondern dort oben. Ganz nah bei den Sternen.«
Er kicherte und verschluckte sich.
»Hast du das gewusst?«
Er musste jetzt husten, so amüsierte ihn das.
»Dort bei den Sternen, von denen so viele Menschen glauben, dass auf ihnen die Hoffnung wohnt.«
Die Fliegenden Hunde der Xochiyaoyotl
ine Tagesreise vor Veracruz und der mexikanischen Küste, befahl Talleyrand seinen beiden Begleitern, die Segel einzuholen und stattdessen zu paddeln. Gagga, der deshalb schon nach einer halben Stunde die ersten Blasen an den Händen bekam, gefiel das gar nicht. Er fluchte und schimpfte wie gewohnt. Doch Talleyrand hatte richtig gehandelt. Eine Stunde nach seinem Befehl tauchte das erste Segel am Horizont auf. Es war ein Kriegsschiff, das den größten und wichtigsten Hafen Mexikos vor Piraten beschützen sollte.
»Piraten wie du einer bist!«, fluchte Gagga. »Und weil du einer bist und dazu noch einer der größten. Einer, den man inzwischen überall kennt. Einer, den die Kinder selbst in den entlegensten Orten der Welt den ganzen Tag nachspielen, weil sie so sein wollen wie du, wird man uns auch für Piraten halten. Und deshalb paddle ich mir jetzt meine armen Patschhändchen wund.«
» Das bringt dich nicht um«, kommentierte Talleyrand trocke n. Er legte das Paddel vor sich auf die Truhe. »Und jetzt ruht euch aus.« Er zeigte zum Horizont, aus dem sich im dunstigen Nachmittagslicht die mexikanische Hafenstadt samt Festung erhob. »Wir gehen an Land, wenn es dunkel wird.«
Und das taten sie. Im Schatten der Festung San Juan de Ulua huschten sie über das nächtliche Meer, ließen alles stehen und liegen und machten sich nur mit ein paar Laib Brot und Wasserflaschen auf den Weg ins Landesinnere. Auch dort hielten sie sich abseits der Wege. Niemand sollte sie sehen. Niemand sollte
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