Honky Tonk Pirates - Der letzte Horizont: Band 6 (German Edition)
das Mondlicht in Feuer verwandelten und über ihr Gesicht tanzen ließ. Unter dem Hut sah man ihr Haar in einem streng nach hinten gebundenen Zopf, und genau so streng und geheimnisvoll leuchteten ihre mandelförmigen, mit schwarzer Kohle umrahmten Augen.
»Gefalle ich dil?«, lächelte Hannah. »Odel magst du den Lochen liebel als mich?«
Will starrte auf ihre Schulter, die ebenfalls nackt war, und sie drehte seinen Kopf zur Lagune zurück.
»Nun, ich denke, dass du das Schiff viel spannender findest.« Sie legte ihre Arme um seinen Hals und verfiel dann ins Schwärmen. »Mein Schiff. Der Rochen. Der Fliegende Rochen.« Sie breitete ihre Arme aus. »Das ist nicht nur ein Name, weißt du, Willfried Zacharias … Karl Otto … Stupps. Er kann wirklich fliegen.«
Sie schloss ihre Augen und Will konnte nicht anders. Er tat es ihr gleich.
»Er fliegt übers Meer wie ein fliegender Fisch. Kannst du’s spüren? Wie ein mächtiger Albatros. Nein, warte, nein. Er gleitet wie ein Teufelsmanta durch den Golf von Mexiko. Ja, hast du so was schon einmal gesehen?«
»Nein«, raunte Will und stieß einen Seufzer aus. »Aber ich kann es mir vorstellen.«
»Gut. Das ist gut«, flüsterte Honky Tonk Hannah und krabbelte ihm mit den Fingerspitzen der rechten Hand über die Brust. Sie tat das verführerisch, bewusst und berechnend, damit er nicht merken konnte, wo ihre linke Hand war. » Du hast das Herz eines echten Piraten«, säuselte sie.
Und Will seufzte: »Ja, ja, ja, das stimmt.«
»Ja«, sagte Hannah, »und ich bin froh, dass du dir das alles vorstellen kannst. Denn leider heißt du nicht wie ein echter Pirat.«
Will riss die Augen auf.
»Karl Otto Stupps.« Sie lächelte und ignorierte dabei sein Entsetzen. »So heißt kein Pirat. Und weil das so ist, Karl Otto … Stüppschen …«, sie tippte mit dem Finger auf seine Nasenspitze, »… wirst du nie im Leben Pirat, und du wirst nie erleben, wie der Fliegende Rochen fliegt. Weißt du, und dafür muss ich dir noch nicht mal deine Nase abschneiden.«
Will musste lächeln. So hatte damals alles begonnen und jetzt sah er die Teufelsmantas unter sich schweben. Er ließ sich von der Truhe ins Wasser gleiten und tauchte mit ihnen durchs karibische Blau. Wehmütig dachte er an die verlorenen Freunde, aber er spürte auch den Beginn eines neuen Glücks.
»Guten Morgen, Will!«, begrüßte ihn Talleyrand, als er kurz vor Sonnenuntergang zum Schwarzen Baron und Gagga zurückkehrte und auf die Truhe kletterte. »Du musst einen riesigen Hunger haben.«
Er reichte ihm Zwieback, Käse, Speck und zum Nachtisch einen Apfel.
»Weißt du, ich liebe den Golf von Mexiko«, lächelte Talleyrand und ließ seine Augen über das ruhige Wasser gleiten. »Und wir sind jetzt bald da. Ja, wir gehen nach Mexiko, tief in sein Herz, das auf seinen Bergen über der Hauptstadt in über 5000 Meter Höhe liegt. Zwischen dem großen Vulkan Popocatepetl und Iztaccihuatl, die seine Schwester ist.«
Will verschluckte sich beinahe, als er die Namen hörte. Er sah den Schwarzen Baron verdutzt an: »Sag das noch mal. Popoamküttel und Itzikapitzi. Hab ich das gerade richtig verstanden?«
Doch Talleyrand schwieg. Er schwieg, bis Will das Lachen verging und er den Ernst der Lage erkannte.
»Danke«, sagte der Schwarze Baron. »Ich weiß, die Namen klingen wirklich lustig. Das hab ich damals auch gedacht. Doch sie sind es nicht, Will. Sie gehören zu einer sehr alten Sprache, die die Azteken gesprochen haben. Hast du von denen schon einmal gehört?«
»Ja, wir haben ihnen ihr Gold stibitzt. Es lag unter einem Haufen Skorpione, in die Jo und ich gefallen sind, als …«
»Das meine ich nicht«, fiel Talleyrand ihm ins Wort. »Gold ist nicht wichtig. Das hast du doch auf der Insel des Vergessenen Volks gelernt.«
»Ja«, nickte Will, »und auf Rum Bottle Bottom.«
» Gut.« Der Schwarze Baron räusperte sich. »Denn die Azteken waren grausam. Sehr grausam, hörst du. Sie haben Kriege geführt, nur um Menschen zu fangen. Indianer, die nicht wie sie in großen Städten lebten, sondern abseits im Urwald: glücklich in kleinen, bescheidenen Dörfern. Dort ließen sie sie zunächst auch leben. Aber nur, um sie später wie Tiere zu jagen. Zu jagen und zu fangen und in die Hauptstadt zu bringen, in der man sie direkt nach der Ankunft auf der Spitze der Tempel auf einen steinernen Altarblock legte, um ihnen bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust zu schneiden. Dann köpfte man sie und warf beides, den
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