Honky Tonk Pirates - Der letzte Horizont: Band 6 (German Edition)
zu schützen. Und der verätzte die Flügel. Sie schrien vor Schmerz und drei der fünf Wesen stürzten ins Meer. Als fielen sie in ein Säurebad, starben sie unter schrecklichen Qualen. Doch die zwei, die noch lebten, konnten ihre Aufgabe erfüllen. Sie flößten Jo Wasser ein, dessen Berührung für sie tödliche Folgen hatte. Sie gaben ihm Brot und Äpfel zu essen und wichen erst wieder von seiner Seite, als Jo nach anderthalb Tagen erwachte.
Der konnte sich nicht mehr an seine Retter erinnern. Es war wie ein Traum, den man beim Erwachen vergisst. Er hatte nur noch das Bild von Flügeln vor Augen und er dachte an Engel. Ja, Engel mussten ihn gerettet haben. Und das hieß nichts anderes, als dass Gott wollte, dass er lebte. Und wenn Gott es wollte, hatte das wohl nur einen einzigen Sinn.
Jo setzte seine Reise fort. An Frankreich und Spanien vorbei immer weiter nach Süden. Er erkannte die Küste von Afrika und von dort jagte er über das offene Meer auf kürzestem Weg zu seinem Zuhause: dem Herzen aus Gold. Wills Herz, dachte er. Doch das war jetzt dunkel und böse geworden.
Endlich sah Jo die drei kleinen Inseln. Sie tauchten wie Perlen hinter dem Horizont auf. Doch anstatt sich zu freuen, holte Jo das Segel ein und paddelte auf die kleinste zu. Er verbarg sich hinter ihr vor den Augen der Wächter, die vielleicht auf dem Tatonka saßen, und schlich sich nach Einbruch der Nacht an Land.
Drei Monate waren seit seinem Aufbruch vergangen. Der Sommer neigte sich seinem Ende zu und der Herbst war schon spürbar. Raureif lag auf dem Gras und glänzte im Fell der Rinder, Gazellen und Antilopen, die erschrocken davonjagten, als sie Jo witterten. Der Junge passierte die Krater mit dem reifen Getreide. Das würde bestimmt in den nächsten Tagen geerntet. Jo freute sich darauf, bei der Arbeit zu helfen, und als er den Kamm des obersten Kraters unter dem Gipfel erreichte, vergaß er alle Sorgen der Welt.
Zu seinen Füßen lag das Dorf der Piraten. Die Baumschiffe wiegten sich ächzend im Wind, und dieses Geräusch und das Flüstern der Blätter war die wohl friedlichste und schönste Musik, die er je gehört hatte. Selbst auf Aweikus Insel hatte er sich nie so gefühlt. Der Frieden schien in der Luft zu liegen. Jo sog ihn mit jedem Atemzug ein. Er zauberte einen Glanz auf seine Stirn, und mit diesem Glanz begrüßte Jo Wolfsherz und die fünf anderen Indianer, die plötzlich hinter ihm erschienen.
»Ich bin wieder da!«, sagte er arglos und fühlte sich noch immer absolut sicher. Es gab keinen sichereren Ort für ihn auf der Welt. Da traf ihn der Schlag. Die stumpfe Seite des Tomahawks ließ das Rauschen der Blätter verstummen. Sie ließ den Glanz auf seiner Stirn verschwinden, und als Jo irgendwann danach wieder erwachte, bestand er nur noch aus dumpfem Schmerz.
Die linke Schläfe brannte und pochte und Jo sah in ein besorgtes Gesicht. Freundliche Augen, so grün wie Nordlichter, blickten ihn an, und dann fuhr sich der Kerl, dem diese Augen gehörten, mit der Hand über den lieblos und stoppelig geschorenen Kopf.
»Moses?«, fragte Jo ungläubig, als er den Franzosen erkannte, der ohne seine Rastalocken so ganz anders aussah: »Wo bin ich? Wo sind wir?«, fragte er leise und hielt sich sofort die Ohren zu.
Denn obwohl Moses nur flüsterte, schienen seine Worte in Jos geschundenem Kopf zu explodieren.
»In Nats Kerker.«
»Seinem Gefängnis«, erklärte Tabea, und jetzt entdeckte Jo die anderen Twins: Tanja, Theres, Tujana, Tule und Teh. Auch ihre Köpfe waren geschoren und anstelle ihrer sonst so schillernden Kleider trugen sie Säcke aus grober Jute.
»Er hat euch erwischt?«, fragte Jo resigniert.
»Ja, und er wird uns hängen«, bestätigte Teh.
»Er hat nur auf deine Rückkehr gewartet.« Tule schaute ihn an. Sie und Teh waren mit ihren dreizehn Jahren die jüngsten Mädchen aus Hannahs Crew.
»Nein. Das lässt Hannah nicht zu!« Jo setzte sich auf. Er ignorierte den Schmerz hinter seiner pochenden Schläfe. »Ihr seid ihre Mädchen. Ohne euch ist sie … nichts.«
»Sie hat das Urteil selber gefällt«, fiel ihm Moses ins Wort. »Er hat sie zu unserem Richter ernannt.«
»Wer?«, fragte Jo. »Sprecht ihr von Nat? Was ist hier passiert?«
»Nichts«, antwortete Tule. »Nichts, was nicht passiert, wenn ein Verrat die Unschuld zerstört.«
»Nachdem du geflohen bist«, erklärte Tujana, »hat Nat sich verändert. Er ist jetzt der Erste von Libertaria.«
»Der Vater der Freiheit«, sagte Tabea. »Ja,
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