Honky Tonk Pirates - Der letzte Horizont: Band 6 (German Edition)
eine Hand. Das war das Zeichen für Talleyrand an Deck des Mondscheinflamingos vor der Küste. Er gab den Befehl an die vermummten Soldaten. Die Drachenkanonen spuckten Feuer, und ihre Kugeln flogen über den Krater, den See und die Piraten zum Gipfel des Berges, wo sie den Tatonka zerstörten.
Die Insel war wehrlos und Will triumphierte:
»Ihr könnt nicht mehr kämpfen.« In seiner Stimme klang Spott. »Und wir lassen euch leben, wenn Nat sich stellt. Schickt diesen feigen Verräter bis heute Abend zu mir. Käpten Nathaniel, hast du das gehört? Ich warte auf dich da unten am Strand und dort fordere ich dich zum Kampf. Es geht um Leben und Tod! Habt ihr das gehört? Und der Ausgang dieses Kampfes soll über euer Los entscheiden. Siegt Nat, dürft ihr leben. Stirbt er, seid ihr tot. Und falls er überhaupt nicht zum Kampf erscheint, falls er feige ist und kneift …« Er fixierte den Amerikaner, »… dann werdet ihr alle Qualen erleiden. Unmenschliche Qualen, das verspreche ich euch.«
Er sah das Entsetzen in den Augen der Kinder, in den Augen von Moses, von Jo und den Twins. Er sah, wie Hannah Nats Blick suchte. Den hatte sie gerade noch verflucht. Verflucht und geschlagen und jetzt musste er für ihr Leben kämpfen. Für das Leben der letzten Piraten der Welt. Will lächelte böse, verneigte sich zynisch und sagte:
»Ach ja, und jedem, der vor Nat bei uns erscheint. Jedem von euch, der sich vorher ergibt und dem Piratenleben abschwört, dem wird alles vergeben. Dem wird alles verziehen. Das gilt auch für dich, hörst du, Honky Tonk Hannah!«
Er drehte sich um und verschwand hinter dem Kamm des Vulkankraters aus den Augen der anderen.
Wer verrät wen?
annah sprang in ein Kanu, ruderte über den See, stieß den Windschiefen Cutter, Salome, Ophelia und drei der Kinder aus dem Weg und rannte zu der Stelle am Rand des Kraters, hinter der Will verschwunden war. Dort zog sie ihre zwei Pistolen. Sie spannte die Hähne. Sie streckte die Arme und zielte mit beiden Waffen auf Will, der siebzig Meter tiefer mit dem Rücken zu ihr zum Strand hinabging.
»Hey, Will!«, rief sie. »Das kannst du vergessen! »
Doch statt zu schießen, sackten ihre Arme kraftlos herab.
Will drehte sich um. Er stand an dem mit Sträuchern bewachsenen Hang und sagte kein Wort. Er sah sie nur an und Hannah musterte entsetzt die Fliegenden Krieger. Ein Dutzend von ihnen stob um Will herum durch die Luft und im selben Moment bellten Hauptleute ihre Befehle.
Zweihundert preußische Soldaten gingen rechts und links von Will in die Knie. Zweihundert weitere standen dahinter und sie alle legten auf Hannah an. Die hörte das Klicken von vierhundert Musketen und hinter diesem gespenstischen Bild zog der Mondscheinflamingo vorbei. Pechschwarz pflügte er durch die mannshohen Wellen, als wäre er aus flüssigem Teer. Er passierte ihr Schiff, den Fliegenden Rochen. Den hatten die Höllenkrieger inzwischen besetzt. Die Handvoll Indianer, die ihn bewacht hatten, hingen gefesselt an den Masten, und von ihren Rücken tropfte das Blut. Eulenfels stand auf der Brücke und stützte sich auf ihr Steuerrad: in strahlendem Weiß stand der fette Freiherr an Deck, als wäre er eine als Engel verkleidete riesige Qualle.
Hannah stand da, als hätte man ihre Füße auf den Felsen genagelt. Sie konnte sich nicht mehr bewegen und das Gewicht der beiden Pistolen zog ihre Arme Richtung Boden. Sie schaute zu Will hinüber. Der kam langsam zurück, und als er sie nach einer endlosen Ewigkeit endlich erreichte, sagte er lächelnd: »Hi.«
Er strich ihr zärtlich durchs Haar:
»Ich bin vor Sehnsucht nach dir gestorben. Glaubst du mir das?«
»Das sehe ich, Will.« Hannah war aufgewühlt und sie zitterte. »Und es tut mir leid.«
Sie ließ die Soldaten die Fliegenden Krieger, die durch die Luft flogen, und die gefolterten Indianer auf dem Schiff nicht aus den Augen.
»Und du hast dich wirklich in Nat verliebt?«
Jetzt zitterte Will. Und Hannah, die sich nicht im Kreis drehen konnte, weil ihre Füße ihr nicht gehorchten … Hannah, die zu ersticken drohte, weil sie Gefühle nicht aushalten konnte, biss sich die Unterlippe blutig.
»Warum?«, fragte Will.
»Warum, oh, warum?« Hannah seufzte und sah ihn dabei durch Tränen an. »Was soll ich da sagen? Es gibt kein Warum . Das passiert einfach, Will. Und ich liebe ihn noch immer.«
Will sah, dass ihr das Reden schwerfiel. Doch die Worte, die ihn wie vergiftete Pfeile trafen, verletzten auch sie. Sie zerrissen ihr
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