Honky Tonk Pirates - Der letzte Horizont: Band 6 (German Edition)
schlanken Mittelteil wuchs. Das runde Heft verschmolz mit seiner Faust. Der Griff hatte für seine Finger genau die richtige Breite und das Tuch an seinem Knauf streichelte ihn bei jeder Bewegung. Will schwang den Säbel um sich herum und es war wie ein Tanz. Die Waffe war wie verzaubert. Sie tanzte mit Will. Sie machte ihn leicht, und mit jedem Hieb wurde Wills Vision, wie sich die Klinge in Nats Körper fraß, konkreter und blutiger. Zuerst in die Arme, ins Bein und die Schulter und dann in die Brust. Ja, er sah schon, wie er Nats Brust durchbohrte, so wie es Blind Black Soul Whistle getan hatte, als er die Frau, die er liebte, im Turm der Chinesen erstach.
O, Blind Black Soul Whistle. Will konnte sich nicht dagegen wehren. Noch lebte seine Vergangenheit und sie kehrte in diesem Moment mit aller Macht zurück.
Der Fürst von Old Nassau hatte im Sterben gelegen und Finn hatte Will aus dem Schlaf geweckt. Er führte ihn wortlos auf den Dreispitz, der in der zerstörten Drachenburg lag. Sie betraten den Kahn, danach die Kajüte, und in dem fast lichtlosen Raum lag der alte Pirat auf dem Bett.
»Was willst du von mir?« Will stürzte zu ihm. »Was kann ich für dich tun?«
Doch dann entdeckte der Junge die Twins. Sie kauerten wortlos auf den Schiffsplanken, und Thule, der jüngeren Schwester der kleinen Teh, liefen die Tränen über die Wangen.
»Nein«, sagte Will. »Nein, das will ich nicht, nein! Ich brauche dich, hörst du!«
Will hatte so etwas noch nie gesagt. Die Worte sprangen ihm über die Lippen. Sie fielen aus seinem Herzen. Sie waren die Wahrheit. Sie waren sein Wunsch. Sie benannten die Sehnsucht, die er schon immer gespürt hatte. Er, der Pirat und Waise, der niemanden brauchte, hatte endlich den Vater gefunden, nach dem er sich schon immer verzehrte.
»Ich brauche dich!«, flehte der verzweifelte Junge, und Blind Black Soul Whistle nahm seine Hand.
»Ich weiß«, nickte er, und Will merkte sofort, wie schwer dem Alten das Sprechen fiel. »Deshalb bist du ja da.« Er lächelte schwach. »Damit du das fühlst. Denn so kannst du verstehen, was wir fühlen, ja: Wir brauchen dich, Will. Den Höllenhund Will, den Sohn des Peste Angelica.« Er lächelte stolz. »Ja, so soll man dich nennen, und ich will dass man sagt, dass ich verfuchst und verteufelt stolz auf dich war. Du trägst meinen Rock und du bekommst meine Schwerter und du wirst – das musst du mir schwören – der Hexe gehorchen. Huh!«, stöhnte er, »Und das ist nicht einfach. Aber du musst es, verstehst du, sonst ist es zu spät. Talleyrand und Gagga sind dabei, die Hölle zu öffnen. Nur du kannst sie aufhalten.«
Er streckte die Hand aus und berührte Wills Tränen, von denen der gar nicht gemerkt hatte, dass er sie weinte.
»Und bitte, Will, bitte mach nicht denselben Fehler wie ich. Töte nicht, hörst du. Töte niemals für deinen Traum, sondern sei nur bereit, für ihn zu sterben.«
Tränen liefen über Wills Wange. Er weinte wie damals. Er stand vor dem Zeltdach, hielt den Säbel, mit dem er Nat töten sollte, in der verkrampften Faust und starrte aufs Meer.
»Sind das Tränen der Freude oder Tränen der Trauer?«, hörte er Gagga hinter sich. Der Prinz hatte sich offenbar von seinen Schmerzen erholt. »Freut er sich nicht darauf, diesen Mistkerl zu töten? Folgt er nicht unserem großen Traum? Können wir ihm vielleicht nicht vertrauen?«
Er schwänzelte misstrauisch um Will herum. Auch er trug jetzt Schwarz wie der Schwarze Baron und einen großen weißen Kragen, der ihn wie einen Schuljungen aussehen ließ. Einen schleimigen Schuljungen, der nach oben hin buckelt und nach unten gern tritt. »Vertrau mir. Misstrau mir. Vertrau mir. Oje!«
Er hielt Will eine Blume unter die Nase, von der er beim Reden alle Blätter bis auf eines abgezupft hatte. Will sah zum Baron.
»Ich habe dir alles gesagt, mein Freund.«, sagte der ernst. »Mein Käpten und Freund. Es liegt jetzt alles in deiner Hand …«
»… mit dem hübschen Säbelchen«, kicherte Gagga. »Du musst ihn nur in Natty piksen. Ganz tief, piks, piks!«
Er stach Will mit dem Finger in den Bauch und prallte an dessen Bauchmuskeln ab.
»Oh!«, staunte er. »Das nenn ich durchtrainiert. Hey, denk einfach nur daran, was er getan hat. Er wollte dich töten. Er hat dir die Frau genommen, von der du geträumt hast, seitdem du weißt, dass es Frauen gibt. Und du hattest sie schon, Will. Vergiss das nicht, hörst du. Nach so vielen Jahren und verzweifelten Kämpfen hatte sie
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