Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx
so mochte: Sie schnüffelte nicht herum. Mochte es daran liegen, dass Grenzer sich immer nur um ihre eigenen Angelegenheiten kümmerten, oder auf Irinas grundsätzliche Achtung vor dem Privatleben anderer Menschen zurückzuführen zu sein – selbst als sie vor Neugierde über Fishers unerwarteten Eintritt in Scotts Leben fast platzte, hatte sie Scott nie mit Fragen bedrängt und sich mit dem begnügt, was er ihr von sich aus mitteilte.
Was auch immer ihr Grund war, Scott wusste ihre Zurückhaltung im Augenblick mehr denn je zu schätzen.
Sie führte ihn zum Computerterminal der Familie und drückte ihm einen Kuss auf den Scheitel, dann ließ sie ihn allein, »um nach Evelina und dem Baby zu sehen.« Lächelnd klinkte sich Scott in das planetare Datennetz ein. Kurze Zeit später sichtete er Luftbilder und Landkarten und beschäftigte sich mit archivierten Dokumenten über die Firmenstruktur und Exportgeschäfte von BioNeering. Er suchte alles heraus, was sich über die Forschungsanlage südwestlich vom Gehöft der Zivoniks in Erfahrung bringen ließ. Er wusste, dass er gegen die Zeit flog, wenn er hoffte, die BioNeering-Anlage zu erreichen und vor der Abenddämmerung in der Stadt anzukommen. Nach Einbruch der Dunkelheit wollte Scott sich nicht mehr in der Nähe dieser Anlage befinden.
Er rief die Post von seinen privaten und beruflichen Konten ab, um sich zu vergewissern, dass keine Notfälle aufgetreten waren, um die er sich augenblicklich kümmern musste. Echte Notfälle wären ohnehin unverzüglich auf sein Armbandcom weitergeleitet worden. Dabei fand er eine Nachricht vom jüngst gegründeten Institut für Xenologie. Absenderin war Dr. Sanura Hobbard persönlich, Chefin des wissenschaftlichen Teams, das von der manticoranischen Regierung mit der Erforschung der Baumkatzen beauftragt worden war. Eindeutig hatte es sich sehr rasch herumgesprochen, dass Baumkatzen beim Fund der Absturzstelle behilflich gewesen waren. Die Nachricht war knapp zehn Minuten nach seinem und Aleksandr Zivoniks erstem Bericht abgesandt worden.
Scott runzelte die Stirn, als er die höflich formulierte Bitte um einen Termin las, bei dem ›wichtige Verhaltensentwicklungen bei Ihrem Baumkater und dem Exemplar Arvin Erhardts diskutiert werden sollten, wobei es um die Entdeckung der Absturzstelle gehe‹. Irgendetwas musste er ihr sagen, so viel war ihm klar; ein Jahr in Fishers Gesellschaft hatte allerdings seinen Instinkt dahingehend geschärft, die Intelligenz und andere besondere Eigenschaften der Baumkatzen geheim zu halten. Er schickte ihr eine knappe Antwort, dass er sie anrufen werde, sobald er wieder im Büro sei. Darüber würde sie kaum glücklich sein, aber er hatte nicht vor, jene Übereinkunft zu brechen, die man schon fast als Verschwörung des Schweigens bezeichnen konnte und an der jeder Mensch teilnahm, der je von einer Baumkatze adoptiert worden war. Selbst die kleine Stephanie Harrington war mittlerweile sehr wortkarg, wenn das Gespräch auf die ‘Katzen kam.
Allerdings setzte er eine genaue Zusammenfassung des gesamten Sachverhalts auf, verschlüsselte den Bericht in einer Datei und leitete sie an seinen Computer zu Hause weiter, damit sie gefunden wurde, falls ihm an der Anlage etwas Unerfreuliches zustieß. Irgendjemand würde auf diese Weise erfahren, was geschehen war, und die Morduntersuchung könnte weitergehen. Er wollte gerade den Sende-Befehl geben, als er innehielt und noch einmal darüber nachdachte, ob es wirklich klug sei, die Datei selbst verschlüsselt über das Netz zu verschicken. Wenn ihm etwas geschah, dann wollte er doch, dass sein Bericht von jemandem gelesen wurde, dem er vorbehaltlos vertraute, jemandem, der ihm wirklich glauben würde. Das hieß, dass es jemand sein musste, der von einer Baumkatze adoptiert worden war – doch solche Menschen waren dünn gesät, und am ehesten würde ihn vermutlich Stephanie Harrington verstehen, die noch ein Kind war. Oder es musste jemand sein, der ihn gut genug kannte, um dem Bericht Glauben zu schenken, ohne empathischen Kontakt mit einer Baumkatze gehabt zu haben.
Scott leitete die Datei an Irina Kisaevna weiter, was er gleich hier ohne Umweg über das planetare Netz bewerkstelligen konnte, denn schließlich war es durchaus denkbar, dass jemand eine Kopie davon abfangen und dekodieren konnte. Irgendwo auf Sphinx gab es einen Mörder, der gewiss auf alles achten würde, was Scott in den nächsten Tagen im Datennetz unternahm, denn schließlich war er als
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