Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx
erschöpft, ihr alle«, sagte Irina leise, löste sich von ihm und lächelte ihn an. »Komm schon, Scott, ich zeige dir das Gästebett.« Sie führte ihn durch einen kurzen Gang zu einer offenen Tür. Das Bett war breit genug, dass drei Menschen darin Platz fanden, ohne mit den Ellbogen oder Knien aneinander zu stoßen; für einen ausgelaugten Arzt und zwei müde Baumkater war es mehr als geräumig.
»Danke, Irina.« Er krächzte vor Müdigkeit. Scott taumelte in den dunklen Raum, befreite sich von seinen Kleidern und fiel ins Bett. Das leise Geräusch, als Irina die Tür schloss, nahm er kaum noch wahr.
Als er wieder die Augen öffnete, fiel helles Sonnenlicht durch die offenen Fenster herein, und der Geruch nach gebratenem Speck und dampfendem Kaffee kitzelte ihm in der Nase. Der Uhr zufolge hatte er fünf Stunden geschlafen, was bei weitem nicht ausreichte, aber besser war als nichts. Er vermutete, dass das nagende Gefühl in seinem Magen – und in den Mägen seiner beiden Freunde – ihn geweckt hatte. Scott fand neben dem Schlafzimmer eine Dusche und stellte sich eine volle Viertelstunde darunter, ließ sich einfach das heiße Wasser über den Körper prasseln. An die vergangene Nacht wollte er gar nicht mehr denken, aber er wusste, dass er vor der düsteren Pflicht nicht davonlaufen konnte, die ihn an diesem Morgen trotz blendenden Sonnenscheins erwartete.
Heute musste er einen Mörder finden.
Jemand – vermutlich wieder Irina – hatte seine schmutzige Kleidung gereinigt, während er schlief. Scott begrüßte Fisher und den Streuner, die beide zusammengeringelt neben ihm geschlafen hatten. Er beruhigte den mageren Baumkater mit Streicheln und leisem Murmeln, dann zog er sich an und ging in die Küche. Zwei heißhungrige Baumkater folgten ihm. Das älteste Zivonik-Mädchen schenkte Kaffee ein, der Zweitälteste Sohn füllte Teller mit Spiegeleiern, Speck und Pfannkuchen. Barfüßig und mit einer Schürze angetan setzte Irina, deren Haarband die ein oder andere Strähne entkommen war, die vollgepackten Teller, Schüsseln, Kaffeetassen und Marmeladengläser auf ein gewaltiges Tablett, das ohne Zweifel für ihren Bruder und ihre Schwägerin bestimmt war. Als Scott in der Tür stehen blieb, wurde er mit freudigem Lächeln begrüßt.
»Guten Morgen, Dr. MacDallan!«
»Morgen. Was dagegen, wenn ich einen Teller voll davon runterschlinge?«
»Bedienen Sie sich«, sagte der Schnellkoch grinsend und mit leichtem Lispeln. Ihm fehlte ein Schneidezahn. »Und für die Baumkatzen hab ich mehr von dem Truthahn kleingemacht.«
»Danke.« Scott lächelte. Er zog einen Stuhl heran und stürzte sich auf das Essen, während Irina mit dem schweren Tablett davonging.
»Iss nur tüchtig, Scott«, sagte sie. »Ich bringe das nur rasch zu Alek und Evelina, dann komme ich wieder.«
Er nickte und lächelte wieder; er hatte so viel Pfannkuchen und knusprigen Speck im Mund, dass er nichts sagen konnte. Die Baumkatzen aßen hungrig und bliekten entzückt, als Stasya ihnen ein Tablett mit einem großen Haufen Sellerie brachte.
»Ich habe gehört, Baumkatzen mögen das.« Sie lächelte schüchtern.
Beide ‘Kater fraßen bereits exstatisch und zerfetzten den Sellerie zu einer klebrig-feuchten Masse.
»Das stimmt.« Scott nickte. »Gott weiß warum. Ich hab das Zeug nie leiden können.«
Die Kinder kicherten und lockten die Baumkatzen mit noch mehr faserigen Stängeln. Irina kehrte zurück, goss sich selbst eine Tasse Kaffee ein und setzte sich zu ihm an dem Tisch. Sanft blies sie über die dampfende Flüssigkeit. »Fliegst du heute in die Stadt zurück?«
»Ich muss. Darf ich deinen Computer benutzen, bevor ich aufbreche? Ich möchte ein paar Dinge im Netz nachprüfen.«
»Natürlich. Ich zeig ihn dir, wenn du fertig gegessen hast.«
Während er die zweite Portion bewältigte, war Scott sich ihres forschenden Blickes bewusst. Irina kannte ihn gut und merkte ihm an, dass etwas im Busch war, etwas Ungewöhnlicheres als bloße Müdigkeit nach einer unangenehmen Aufgabe wie der in der letzten Nacht. Erschöpfung hätte sie erwartet, doch Scott konnte nicht völlig verhehlen, dass ihn die Anspannung gepackt hielt, während er nach dem besten Weg suchte, um sein Problem anzugehen: die Beweise zu finden, die er brauchte. Er schenkte Irina versuchsweise ein Lächeln, und sie erwiderte es rasch, ihr Blick aber blieb dunkel und besorgt. Trotzdem stellte sie keine Fragen, und das war einer der Gründe, weshalb Scott ihre Gesellschaft
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