Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx
nach Evelina Zivonik und untersuchte sie und das Neugeborene kurz, versicherte der Familie, dass sie und der kleine Lew völlig in Ordnung seien, verabschiedete sich, dankte allen für ihre Gastfreundschaft und küsste unter dem Kichern der Zivonik-Kinder Irina. Er übergab ihr eine Kopie seines Flugplans, eine weitere Sicherheitsvorkehrung, und speiste sie mit einer vorgeschobenen Erklärung für seinen Flug zu der Forschungsanlage ab, damit wenigstens sie wusste, wo er war.
»Ich möchte wetten, der Streuner stammt aus einer Baumkatzenkolonie in der Nähe dieser Anlage«, sagte er ruhig, »und nun, da sein menschlicher Freund tot ist, wird er wohl dorthin zurückkehren wollen. Zu Fuß ist das für eine Baumkatze ein weiter Weg, Irina, deshalb ist er ja so dünn und ausgezehrt – er hat die Reise schon einmal gemacht, und nur, weil er die Leiche seines Freundes erreichen wollte. Ich finde, ihn nach Hause zu fliegen ist das Mindeste, was ich für ihn tun kann.«
»Natürlich, Scott.«
Aleksandr, der in der Nähe stand, nickte und drückte Scott fest die Hand. »Sie haben ein Herz aus Gold, Doc.« Die Eltern des großen Farmers waren direkt aus der altirdischen Ukraine mit der ersten Kolonistenwelle im Manticore-System eingetroffen, Wodurch seine Familie zu den angesehenen Ersten Anteilseignern zählte. Er blickte Fisher an, der auf Scotts rechter Schulter saß, dann den Streuner auf der linken, und sagte:
»Ist nicht schwer zu verstehen, dass Ihr Baumkater sich Sie ausgesucht hat. Sie können wetten, dass ich den kleinen Streuner so schnell nicht vergessen werde. Passen Sie gut auf sich auf, Doc.«
Sie schüttelten sich die Hände, dann stieg Scott in den Flugwagen, und die Baumkater sprangen zu Boden. Sie kamen ihm ins Cockpit nach, wo er die Systeme checkte und hochfuhr. Scott vergewisserte sich, dass sowohl sein Gewehr als auch seine Pistole geladen waren, dann schnallte er sich die Faustfeuerwaffe an den Gürtel und schob das Gewehr in die Halteklammer, wo er es in Reichweite hätte. Schließlich überzeugte er sich, dass er ein Medikit am Gürtel trug. Er spannte die Prallnetze für die Baumkater auf, eine Vorkehrung, die er immer traf, wenn er mit Fisher flog. Als der Streuner und Fisher ihre Nasen an die Kanzel pressten, um den Start zu beobachten, lächelte er. Er winkte zunächst Irina zu, die ihm einen Kuss zuhauchte, dann Aleksandr und den Kindern. Langsam stieg er über das Farmhaus auf, warf einen Blick auf das steile, grüne Kegeldach, an dem im Winter die schwere Schneelast abrutschen sollte, und ging auf Südwestkurs.
Aus der Luft wirkte die Verwüstung längst nicht so ausgedehnt wie in den Geistesbildern der ‘Katze. Trotzdem drehte sich Scott bei dem Anblick der Magen um. Was immer die Pfostenbäume getötet hatte musste sich durch den Wind ausgebreitet haben, denn windabwärts erstreckte sich eine V-förmige Zone des Baumtodes, die gut fünf Kilometer von der Anlage wegreichte. Kein einziger gesunder Baum stand dort, nur die verwelkten, entrindeten Stämme, die Scott bereits gesehen hatte. Eine scharfe Trennlinie grenzte die Vernichtung ein, verdorrte Bäume auf der einen Seite, gesundes, kräftiges Pfostenbaumgehölz auf der anderen. Der Grund dafür wurde ersichtlich, als Scott den Flugwagen niedriger aufs Blätterdach senkte.
Im Wald bestanden Lücken, wo das allerletzte Abwehrsystem des Pfostengehölzes Bäume aufgelöst hatte, um so den befallenen Teil des Waldes vom gesunden abzutrennen. Scott hatte Fotos von anderen geschädigten Pfostenbaumsystemen gesehen, die genau die gleichen Lücken aufgewiesen hatten, aber niemals hatte er sie aus dieser Nähe mustern können – und nie waren sie Folge eines menschlichen Eingriffs gewesen. Worum auch immer es sich handelte, anscheinend hatte es die ungeheuer vielfältige Tierwelt ebenso schwer betroffen, denn zwischen den nackten Bäumen oder auf dem Waldboden entdeckte Scott keinerlei Bewegung. Die Reglosigkeit dieses Waldes verkündete geradezu Unheil; Scott fragte sich voll Unbehagen, ob der freigesetzte Wirkstoff, der den Pfostenbäumen so sehr schadete, sich auch für die Fauna als giftig erwiesen hatte. Scott warf einen Blick auf den Streuner, der so furchtbar mager neben Fisher auf dem Kopilotensitz saß, und biss die Zähne zusammen. Wenn das hiesige Wild gestorben war oder die Region verlassen hatte, weil ihre Nahrungsquellen verschwunden waren, dann könnte in den nächsten Monaten durchaus eine Hungersnot die
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