Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx

kaltblütig über den Haufen zu schießen. Sie hatte die Oberhand, das wussten sie beide. »Damit kommen Sie nie und nimmer durch«, sagte er in dem Versuch, sie vielleicht für den Sekundenbruchteil abzulenken, den er brauchte, um die Pistole hochzureißen und zu feuern. Seine Hand, mit der er den Plastikgriff umklammerte, schwitzte heftig.
    Sie lachte ihn aus. »Das bin ich doch schon.«
    » Zwei tödliche Abstürze, in die Sie verwickelt sind?«, erwiderte er. »Und diesmal kein Sturm, der ihn erklärt?«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Wenn ich fliehen muss, brauche ich nur genügend Zeit, um diesen Planeten zu verlassen, und dazu benötige ich keine Stunde. Lange bevor ein Flugwagen von der Stadt hier ankommen kann. Sie wären immer noch unterwegs, wenn mein Schiff die Warshawski-Segel setzt.«
    Sie hatte die Vorkehrungen für ihre Flucht bestimmt schon in dem Moment getroffen, in dem sie ihre ersten Morde plante und ausführte. Ubel brauchte lediglich die Beweise für ihre Verletzung der Elysäischen Regel zu beseitigen, im Stillen die Anlage herunterzufahren und ihre Stellung zu kündigen, und wäre lange fort, bevor jemand misstrauisch würde. Selbst wenn die Morde entdeckt würden, käme sie ungestraft davon.
    »Würden Sie mir verraten warum?«
    Sie zog ihre hellen Brauen hoch. »Warum?« Aus ihrer Stimme klang blanke Verachtung. »Weil meine Karriere vorüber gewesen wäre, natürlich.«
    »Ich meine, was haben Sie freigesetzt, und warum haben Sie es getan?«
    Sie verzog den Mund vor Abscheu. »Eine Entwicklung Raffertys. Wir haben ein Testspray für ein kontrolliertes Experiment entwickelt, um zu sehen, welche Wirkung unser synthetisches Produkt haben würde. Meine Schuld war es nicht.«
    »Also waren Sie es wirklich. Sie haben das Zeug freigesetzt.«
    »Es war nicht meine Schuld«, wiederholte sie. »Das hätte jedem passieren können! Und ohne diese verdammten, neugierigen Baumkatzen wäre es auch nicht geschehen! Ich hatte Erhardt gesagt, dass er das Biest gefälligst loswerden soll!«
    »Die Baumkatzen?«, fragte Scott ruhig. »Wie können die Baumkatzen dafür verantwortlich sein, dass Ihr tödliches Entlaubungsmittel versehentlich freigesetzt wurde?« Er sah deutlich, dass Fisher und der Streuner sich in diesem Moment über die in die Lichtung ragenden Äste zu Ubel vorarbeiteten. Er spürte ihre Entschlossenheit, sie aufzuhalten, schmeckte sogar ihre Wut und ihren Ekel, während sie sich ihr näherten. Das Pferd riss unruhig den Kopf zurück und schnaubte mit geweiteten Nüstern. Unfroh schüttelte es die Mähne. Ein schneidender Befehl brachte es zum Stillstand, aber nur für einen Augenblick. Das Tier verdrehte die Augen, sodass das Weiße hervortrat, während es seitlings vor den heimlich herbeischleichenden Baumkatzen zurückwich. Leider war Ubel als Reiterin so gut, dass ihre Konzentration niemals nachließ. Die ganze Zeit hielt sie ihn mit ihrem verdammten Gewehr im Schach, ohne zu schwanken.
    »Baumkatzen«, sagte sie bissig, »sind bösartige Schnüffler und Diebe! Arvins verdammtes Tier brach nachts, als ich allein arbeitete, in das Labor ein und erschreckte mich mitten in einer gefährlichen Umfüllaktion. Der Kolben zerbrach, und die Substanz wurde augenblicklich in die Abluft gesaugt! Ich habe versucht, den kleinen Mistkerl zu erschießen, aber die Viecher sind wieselflink, und er ist mir entkommen. Mein Gott, machen Sie sich überhaupt eine Vorstellung davon, wie viel Zeit, Geld und Forschungsarbeit ins Klo fiel, als dieser Kolben zerbrach? Drei unterschiedliche Biochemie-Konzerne versuchen, die Rechte an meiner Arbeit zu ersteigern, aber bei der Geldstrafe, die mir von Manticore droht, muss ich die Ergebnisse mit nach Mesa nehmen, wenn ich überhaupt irgendwelchen Profit machen möchte, und das habe ich nur diesen stinkenden Baumkatzen zu verdanken!«
    Mesa … Der Stammsitz von Manpower Unlimited, einer Firma, die manchen Kolonisierungsunternehmen geklonte und genmanipulierte menschliche Sklavenarbeiter anbot. Die von Manpower Unlimited gezüchteten Arbeitstrupps waren an die jeweiligen Umweltbedingungen angepasst und schufteten unter entsetzlichen Bedingungen, ohne dass man sie bezahlen musste. Jedes zivilisierte Sonnensystem boykottierte mesanische Firmen wegen der Monstrositäten, die sie begingen. Dass Mariel Ubel sich gleich mit mesanischen Unternehmen in Verbindung setzte, verwunderte Scott nicht; das bestätigte nur seine Vermutungen, wie gierig und kaltblütig sie war.
    »Was