Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx
sich trotzdem vor die Mündung geworfen, den Lauf beiseite gedrückt und Scott dadurch das Leben gerettet. Scott kniete sich auf den Boden, das Gesicht in das blutgetränkte, schmutzstarrende Fell vergaben, und weinte.
Du hast gewusst, dass du sterben würdest, du hast es gewusst … Scott konnte sich nicht verzeihen, den Streuner hierher gebracht zu haben. Er war für seinen Tod verantwortlich. Er spürte die Schuld so tief, dass es ihm lieber gewesen wäre, wenn der Schuss ihn durchschlagen hätte. Der Streuner hatte das Unmögliche vollbracht: Scott mitzuteilen, dass sein menschlicher Freund ermordet worden war – und nach alledem hatte Scott MacDallan es zugelassen, dass Arvin Erhardts Mörderin auch das Leben des Streuners beendete.
Und Scott hatte ihm nicht einmal einen Namen gegeben.
Er kauerte sich über dem kleinen Leichnam der namenlosen Baumkatze zusammen und trauerte.
»Leicht ist es nie, einen Freund zu verlieren, nicht wahr?«
Scott blickte auf und sah Sanura Hobbard in der Tür stehen. Er hatte ganz vergessen, dass sie sich angemeldet hatte. Kurz strich er Fisher mit angespannten Fingern durch das seidige Fell. Das leise Summen seines Freundes hatte er dringend nötig. Dann riss er sich zusammen. »Entschuldigen Sie, Dr. Hobbard. Kommen Sie herein.«
Fisher bliekte leise ein Willkommen.
Sie lächelte zögernd. Ihre dunklen Augen blickten ernst drein. »Danke, Dr. MacDallan, und danke auch dir, Fisher.«
Dass sie seinen Freund in die Begrüßung einschloss, wärmte den stumpfen, kalten Schmerz tief in seinem Innern ein wenig auf. »Dr. Hobbard.« Er stand vom Schreibtisch auf und reichte ihr die Hand. »Und nein«, fügte er hinzu, während er ihr einen Stuhl anbot, »leicht ist es nie.«
»Es tut mir sehr Leid. Uns allen tut es sehr Leid.«
Scott biss die Zähne zusammen. »Danke«, sagte er rau.
»Wir haben eine Gruppe von Baumkatzen auf Wanderschaft aufgefunden«, sagte sie leise in das daraufhin folgende Schweigen. »Nur wenige Kilometer von der Anlage entfernt. Eindeutig zogen sie vom verwüsteten Areal ab. Wir haben bereits die erste Notverpflegung für sie abgeworfen. Ein hoher Prozentsatz der Beutetiere in der Umgegend ist offensichtlich durch Gifte getötet worden, die von den zerfallenden Pfostenbäumen ausgeschüttet werden. Nun, wo wir wissen, was geschehen ist, werden wir die betroffenen Baumkatzen vor dem Hungertod bewahren, bis wir sie in ein neues Gebiet umsiedeln können.«
Scott nickte. Seine Ahnung hatte sich somit als zutreffend erwiesen. Das ist gut , dachte er müde. Das wog den Tod des Streuners zwar nicht auf, aber … es half. »Das freut mich.«
»Ich habe mit Nicholas Vollney gesprochen. Man hat die Absturzursache herausgefunden.«
Scott, der nachdenklich die subtilen Unterschiede im Grau und Creme von Fishers Fell betrachtete, blickte auf. »Tatsächlich?«
Die Xenologin nickte. »Es lag am Bordcomputer des Flugwagens. Er war manipuliert worden. Dadurch kamen sie vom Kurs ab, und die Bake und das Comgerät waren gesperrt. Dann versagten die Kontragravs, und zu guter Letzt fiel die Stromversorgung genau im kritischsten Moment der Notlandung aus. So hat sie es gemacht. Wenn Sie nicht misstrauisch geworden wären, hätte niemand je Verdacht geschöpft.« Sanura Hobbard zögerte. Eindeutig verspürte sie den Drang, ihm noch eine Frage zu stellen, wollte ihm jedoch zugleich weiteren Schmerz ersparen. Vor allem anderen aber war sie Berufsxenologin, und Xenologen ließen sich von den Empfindungen anderer Menschen nicht aufhalten. »Sie wissen bereits, was ich Sie fragen muss. Die Frage ist wichtig, und ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie wichtig sie für uns alle ist. Also: Woher wussten Sie davon? Bitte, sagen Sie es mir doch.«
Scott presste die Lippen zusammen. »Da gibt es nichts zu erzählen, Dr. Hobbard. Ich bin schon durch viele Unwetter geflogen. Ein erfahrener Pilot hätte zuallermindest die Bake eingeschaltet. Es steckt kein Rätsel dahinter, nur gute alte menschliche Intuition.«
Sie blickte ihn unverwandt kühl und enttäuscht an. »Sie setzen sich tatsächlich hier vor mich hin und behaupten, dass es nichts zu erzählen gibt, wenn ein Baumkater fünfhundert Kilometer weit wandert, um die Leiche seines ermordeten Freundes zu suchen, und dabei fast umkommt? Soll es etwa ganz normal sein, dass sich dieser Baumkater an die nächsten Menschen wendet, die er finden kann, sie zur Absturzstelle schleppt und sich dann zwischen das Gewehr der Mörderin und
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