Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx
Solche Untergebene kommen auf eigenartige Ideen; zum Beispiel überlegen sie sich, wie vorteilhaft es doch wäre, wenn ein Rivale dieses Untergebenen plötzlich und ohne ersichtlichen Grund den gemeinsamen Boss niederschießt (und somit eine freie Stelle schafft, in die man aufrücken kann), dabei jedoch im Kugelhagel der Leibwächter des fraglichen, tief betrauerten Bosses stürbe.
Selbstverständlich waren sich sowohl Organisation als auch Strafverfolgungsbehörden darüber im Klaren, wie leicht sich die Justierung missbrauchen ließ, ein wichtiger Grund, warum das Gesetz dieser Behandlung mit solchem Argwohn begegnete. Die königliche Polizei untersuchte daher routinemäßig, ob eine Justierung im Spiel sein konnte, wenn ein Mörder einfach ›durchdrehte‹. Einem erfahrenen Psychiater fiel es nicht schwer, bei einem Kandidaten die Symptome für Psychojustierung zu entdecken. Aus diesem Grund erhoben Leute wie Krogman solch astronomische Honorare, denn die wahre Kunst ihres Wirkens ergab sich aus Subtilität, Umsicht bei der Auswahl des Werkzeugs, Anonymität und Irreführung.
Jeder Polizist wusste, dass man fast jeden Mord mit Psychojustierung erklären konnte, aber tatsächlich waren gute Justierer mit kriminellen Neigungen selten, und sämtliche Ausübenden dieses Berufs wurden streng kontrolliert. Darum waren die Fälle von Mord aus Justierung weit weniger häufig als schlechte Krimiautoren ihren Leser gern weismachten. Die ermittelnden Beamten hielten darum zunächst nach alltäglicheren Tatmotiven Ausschau, und Krogman suchte sich in der Regel jemanden als Waffe aus, der bereits ein anderes Motiv hatte . Wenn jemand einen Menschen ermordete, den er schon immer gehasst hatte, fand die Polizei ein Tatmotiv, sobald es die Vergangenheit von Mörder und Opfer überprüfte, und dann suchte man für gewöhnlich nicht mehr nach esoterischen, unwahrscheinlichen Gründen.
Ferner zog Krogman es vor, seine Waffen auf Kamikazeangriffe zu programmieren. Zwar trachtete er stets den Eindruck zu vermeiden, sie gingen absichtlich selbstmörderisch vor – auch das führte unweigerlich zu Unannehmlichkeiten, weil die Polizei sofort an Psychojustierung dachte –, doch sobald Leibwächter im Spiel waren, bedeutete es kein Problem, die menschliche Waffe so zu programmieren, dass sie nach ausgeführter Tat einen Fehler mit tödlichen Folgen beging. Den auf den Mord folgenden Selbstmord eines verschmähten oder verstoßenen Geliebten war eine andere Technik, die er gern einsetzte, weil die Polizei so viele Fälle dieser Art zu Gesicht bekam, dass es für sie nichts Ungewöhnliches war. Nur wenn ihm partout keine andere Wahl blieb, nahm er eine Waffe ohne persönliches Motiv für den Anschlag, und dann sorgte er grundsätzlich dafür, dass der Täter sein Opfer nicht überlebte.
Krogmans eigentlicher Schlüssel zum Erfolg bestand jedoch darin, dass er dafür sorgte, niemandem einen Grund zu der Annahme zu geben, dem Mörder könnte der Mord befohlen worden sein. Das vergaß Krogman nie. Die gegenwärtige Waffe war ein Meisterwerk. Die Vorbereitungen für den Anschlag hatten schon vor über einem T-Jahr begonnen, und während der letzten zehn T-Monate hatte der junge, ziellose Mensch ohne Freunde, den Krogman als Werkzeug benutzte, systematisch eine Spur erzeugt, wie sie ein Mensch mit einer verhängnisvoll zwanghaften Persönlichkeit hinterlässt. Seine schlichte Wohnung war in einen wahren Schrein für Kronprinzessin Adrienne verwandelt worden. Von Krogmans ›Justagen‹ geleitet, hatte er sporadisch ein weitschweifiges Tagebuch geführt und darin seine Entwicklung bis zu dem Punkt dokumentiert, an dem seine Faszination von der Prinzessin sich zur Besessenheit ausgewachsen hatte. Allein der Zeitraum, in dem er seinen Hort von Bildern, gedruckten wie elektronischen Zeitungsausschnitten und Tagebüchern angehäuft hatte, würde jeden außer den unermüdlichsten Ermittlern überzeugen, dass es sich um das Produkt eines zerrütteten Geistes handelte, der völlig isoliert gelebt hatte.
Darin bestand Krogmans wichtigste Bastion, und er beabsichtigte, sie zu halten. Sollte sie versagen, bestand seine zweite Verteidigungslinie in der Anonymität. Niemand hatte ihn und den Tagedieb je zusammen gesehen, und er hatte peinliche Vorkehrungen getroffen, dass man ihn in keiner auch noch so indirekten Weise mit seinem Werkzeug in Verbindung bringen konnte.
Und selbstverständlich hatte er dafür gesorgt, dass der fragliche junge Mann sein
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