Honor Harrington 11. Wie Phoenix aus der Asche
drei rasch fest, ohne Falsch. Großen Schmerz empfand sie, große Zukunftsangst und einen bitteren Groll darüber, dass vor Honor niemand zum gleichen Schluss gelangt war, aber sie log nicht. Honor atmete erleichtert und zufrieden zugleich durch.
»Das dachte ich mir doch«, sagte sie fast ebenso leise wie Jaruwalski. »Ich habe mir Ihre Noten im TLF angesehen. Sie scheinen mir nicht zu jemandem zu passen, dem es am Kampfeswillen mangelt. Die ununterbrochene Reihe von ausgezeichneten Leistungsbewertungen in Ihrer Personalakte ebenfalls nicht. Irgendjemand aber musste für Seaford den Kopf hinhalten, und Santino stand nicht mehr zur Verfügung. Außerdem fragten sich sogar Leute, die ihn kannten, ob er diesmal nicht vielleicht doch Recht gehabt haben könnte; sie trauten wohl selbst ihm nicht zu, ausgerechnet den Offizier abzulösen, den er am dringendsten brauchte. Da musste dieser Offizier es doch gehörig verbockt haben, oder nicht? Aber das war Ihnen doch wohl klar?«
Honor schwieg, und Jaruwalski nickte ruckartig.
»Natürlich war es Ihnen klar«, murmelte Honor. »Und Sie haben sich nicht verteidigt, indem Sie dem Untersuchungsausschuss Ihre Sicht der Dinge schilderten, weil Sie bezweifelt haben, dass man Ihnen glauben würde. Sie haben befürchtet, man würde annehmen, Sie wollten auf irgendeine Weise die schweren Beschuldigungen entkräften, die Santino ihnen zur Last legte – ganz egal wie, Hauptsache, Sie bekämen den Kopf wieder aus der Schlinge, nicht wahr?«
»Ja, ich habe wirklich nicht geglaubt, dass mir jemand glauben würde«, gab Jaruwalski mit düsterem Gesicht und hohl klingender Stimme zu. »Und selbst wenn jemand dazu bereit gewesen wäre – Sie haben es ja selbst gesagt: Santino war tot. Mein durch nichts untermauertes Ehrenwort hätte gegen das eines Offiziers gestanden, der mich wegen meiner Feigheit derart verabscheute, dass er sich die Zeit nahm, meine Inkompetenz in einem offiziellen Bericht festzuhalten, bevor er sich in eine aussichtslose Schlacht stürzte.« Sie zuckte hilflos und angespannt zugleich mit den Schultern.
»So ähnlich habe ich mir die Sachlage vorgestellt«, sagte Honor nickend. »Ich sehe Santinos Gesicht vor mir, während er diese Depesche diktiert, und ich weiß auch ein wenig zu viel über seinen ›Mangel an Kampfgeist‹. Und seine Trägheit. Und seine Angewohnheit, sich einen Sündenbock zu suchen.«
Nun hob Honor die Schultern, doch bedeutete die Geste bei ihr etwas ganz anderes. Schweigen dehnte sich zwischen ihnen aus. In Wellenkreisen schien es sich von Honors Schreibtisch auszubreiten und beide zu überschwemmen. Sie schmeckte Jaruwalskis grenzenlose Erleichterung, dass es doch einen Menschen gab, der ihr glaubte.
Der weibliche Commander hob das Bierglas und trank gierig, dann atmete sie tief durch. Ihr Gesicht wirkte nicht mehr verschlossen, und kaum dass es sich entspannte, verlor es seine maskenhafte Disziplin. Nun sah Jaruwalski fast hager aus, ihre Wangen wirkten eingefallen von der Erschöpfung und der Marter, die sie so lange verborgen hatte. Mit blitzenden Augen musterte sie Honors Gesicht.
»Hoheit, ich finde kaum die passenden Worte … Sie können sich nicht vorstellen, wie viel mir Ihr Verständnis bedeutet. Wahrscheinlich ist es zu spät, um meine Karriere noch zu retten, aber allein zu wissen, dass wenigstens ein Mensch begreift, was wirklich vorgefallen ist, das …« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht ansatzweise ausdrücken, wie wichtig mir das ist. Aber so dankbar ich bin, ich muss mich trotzdem fragen, wieso Sie sich die Mühe machen, mit mir zu sprechen und es mir zu sagen.«
»Weil ich Ihnen eine Frage stellen möchte, Commander«, antwortete Honor. »Eine sehr wichtige Frage.«
»Gerne, Ma’am.« Eine schwache, neue Befürchtung trat in die Gefühle des Commanders: die Sorge, dass Honors Frage in irgendeiner Weise den noch so frischen Eindruck, Verständnis gefunden zu haben, zerstören könnte. Doch obwohl sie nun mit Grauen auf das Kommende wartete, schwankte weder Jaruwalskis Stimme, noch mied sie Honors Blick.
»Was haben Sie Admiral Santino geraten, Commander?«, fragte Honor sehr ruhig.
Jaruwalski zögerte keine Sekunde. »Ich riet ihm zu sofortigem Rückzug, Hoheit«, sagte sie. Sie kannte Honors Ruf, und Honor empfand Jaruwalskis Furcht, als wäre es ihre eigene: Die Furcht, der einzige Mensch, der das Geschehen tatsächlich durchschaute, könne letztlich doch noch zu dem Schluss gelangen, dass die
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