Honor Harrington 11. Wie Phoenix aus der Asche
Einen ganzen Kampfverband und das Leben so vieler Menschen aus einer vergeblichen Trotzgebärde heraus zu opfern, das hätte Edward Saganami niemals getan und auch von niemandem erwartet. Wenn auch nur eine entfernte Siegeschance bestanden hätte oder andere, wichtigere Beweggründe – wenn etwa Ehre und Ansehen des Sternenkönigreichs auf dem Spiel gestanden hätten oder wir beim Rückzug Gefahr gelaufen wären, das Vertrauen eines Verbündeten zu verlieren –, dann wäre ein Opfergang womöglich erforderlich gewesen. Aber einen zahlenmäßig derart unterlegenen Verband vor die Rohre eines übermächtigen Gegners zu führen, nur um ein Sonnensystem zu verteidigen, das von vornherein völlig wertlos war …«
Sie schüttelte bestimmt den Kopf.
»Sie haben es erkannt und Ihrem Vorgesetzten geraten, den gleichen Schluss zu ziehen. Er weigerte sich, weil ihm der moralische Mut fehlte, den Sie mit ihrem Ratschlag bewiesen hatten. Seine Erkenntnisverweigerung kostete nicht nur ihn das Leben, sondern jeden Mann und jede Frau an Bord seines Flaggschiffs – wahrscheinlich die meisten Menschen unter seinem Befehl und sämtliche Schiffe seines Kommandos. Wenn ich entscheiden sollte, welche Verhaltensweise ich bei einem Offizier im Dienst der Königin vorziehe, so weiß ich, welche Wahl ich treffen würde. Deshalb habe ich Sie zu mir gebeten.«
Jaruwalski hob fragend die Augenbrauen, und Honor lächelte.
»Ich habe noch keine zwo Wochen das Kommando über den TLF«, sagte sie. »Ich habe drei sehr tüchtige Stellvertreter und meine eigenen Erfahrungen mit der Hirnmühle. Trotz der zusätzlichen Last, die Admiral Caparelli mir mit ›Einführung in das Taktische Denken Eins‹ aufgebürdet hat, bin ich mir schon über mehrere tiefgreifende Veränderungen im Klaren. Stellen, an denen ich das Programm ein wenig aufbohren oder die Schwerpunkte verlagern möchte. Und dabei hätte ich gern Ihre Hilfe.«
» Meine Hilfe, Hoheit?« Jaruwalski wirkte völlig davon überzeugt, sie müsse sich verhört haben.
»Ihre Hilfe, Andrea. Ich benötige Sie als Adjutantin. Ich vertraue Ihrem Urteil und weiß, dass Sie begreifen, was ich zu erreichen versuche, und dass Sie diese Bemühungen effektiv organisieren werden. Außerdem müssten Sie mich gelegentlich an den Simulatoren und im Hörsaal vertreten, wenn ich nicht persönlich dort sein kann. Und wenn ich das sagen darf – ich möchte, dass Sie als lebendiges Vorbild dienen, das Richtige zu tun, auch wenn man dafür hinterher einen hohen Preis zu zahlen hat.«
Unter ihrem dunklen Teint war Jaruwalski erbleicht. Sie blinzelte heftig, und ihre Oberlippe bebte leicht.
»Außerdem«, fuhr Honor in absichtlich fröhlichem Ton fort, »gibt es noch mindestens einen weitaus weniger lobenswerten Grund, Ihnen diese Verwendung anzubieten.«
»Tat-tatsächlich, Ma’am?«, fragte der Commander rau. Honor gab vor, Jaruwalskis Stottern bei der ersten Silbe nicht bemerkt zu haben.
»Aber natürlich!«, rief sie und grinste dabei wie die sprichwörtliche Katz im Selleriefeld. »Allein der Gedanke ist köstlich: Indem ich den Offizier ›rehabilitiere‹, den dieser Esel von Santino aus Missgunst und schlechter Laune ruinieren wollte, kann ich ihm post mortem noch eins auf die Nase geben. Himmel, Frau! Wie könnte ich mir diese Gelegenheit entgehen lassen!«
12
»Und wer wollen die Herrschaften sein?«, fragte Lord Mueller seinen Verwalter.
»Sie sagen , sie seien Investoren und auf der Suche nach geeigneten Bauplätzen für neue Farmkuppeln, Mylord«, antwortete Crawford Buckeridge. Seit über dreißig Jahren arbeitete er für Mueller, und dem Gutsherrn entging nicht, dass sein Gutsverwalter das Verb ein wenig stärker betont hatte als den Rest des Satzes.
Mueller ließ sich nichts anmerken. Er fragte sich oft, was Buckeridge von seinen – außerplanmäßigen Tätigkeiten halten mochte. Schon seit Generationen standen die Buckeridges im Dienste der Muellers. Was immer der Verwalter also dachte, er würde es keinesfalls einem Fremden gegenüber erwähnen. Buckeridge war jedoch ein sehr religiöser Mensch. Der Mord an Reverend Julius Hanks hatte ihn ebenso erschüttert wie die Enthüllung, dass William Fitzclarance sowohl hinter dessen Tod als auch dem Tod Dutzender Schulkinder auf dem Gut Mueller steckte. Zwar lehnte er die Reformen Benjamin Mayhews so strikt ab, wie Mueller es sich nur wünschen konnte, doch war er entsetzt gewesen, dass ein Gutsherr sich zu solchen Mitteln
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