Honor Harrington 11. Wie Phoenix aus der Asche
antiquierten Sexismus Graysons eher erbaulich, und gelegentlich erfreute sie sich an der Vorstellung, dass der elende, kleingeistige Kretin irgendwann an seiner eigenen Galle ersticken würde, wenn er nur genug davon heruntergeschluckt hätte. Der Gedanke, wie er schäumend und mit purpurnem Gesicht während eines Tobsuchtsanfalls dem Hirnschlag erlag, wärmte Allison das Mutterherz. Schamlos machte sie sich alle Regeln zunutze, die ihr einen Vorteil boten.
Doch auch Mueller verstand sich darauf, schmutzig zu kämpfen. Im Konklave der Gutsherren hatte jeder geahnt, dass Allison sich mit Händen und Füßen gegen entschlossene Schutzkommandos im Spielzimmer von Harrington House wehren würde. Mueller hatte sogar fest damit gerechnet … und darum machte er sich bereitwillig zum Sprachrohr all derer, die hinsichtlich Honors Erbfolge darauf bestanden, dass dem Buchstaben des Gesetzes Genüge getan werde. Er wies darauf hin, Grayson habe durch den tragischen, brutalen Mord an Lady Harrington bereits einen bitteren Verlust erlitten. Daher habe Grayson als Ganzes die Pflicht, das kleine Mädchen zu hegen und zu schützen, das Honors Titel und Privilegien erbe. Schließlich setzten viele ihre Hoffnung in diese Erbin. Was die Sicherheit der unmündigen Gutsherrin betraf, dürfe kein Risiko eingegangen werden.
Allison bezweifelte, dass sie den Streit gewonnen hätte, aber wenigstens hätte sie wohl durchsetzen können, dass den Zwillingen nur ein einziger Waffenträger zugeteilt würde. Mueller jedoch wollte davon nichts hören, und selbst einige ihrer engeren graysonitischen Freunde hatten ihm zugestimmt, wenngleich aus anderen Gründen. Und wenn Allison ehrlich war, hatte sie sich rasch daran gewöhnt, dass nicht weniger als sechs Leibwächter zu dem Haushalt gestoßen waren, der während Honors ausgedehnter Abwesenheit so lange nur aus ihr und Alfred Harrington bestanden hatte. Hingenommen hatte Allison die Tatsache noch längst nicht, aber da die Situation tagein, tagaus die Gleiche blieb, musste sie wohl lernen, sie zu tolerieren.
Wenigstens waren Jeremiah Tennard und Luke Blacket, James Chefleibwächter, angenehme Zeitgenossen. Sie hatten ein gewinnendes Wesen, waren unfehlbar höflich, hilfsbereit und ihren kleinen Schützlingen ehrlich zugeneigt. Und sie waren außerordentlich gefährlich. Allison hatte sehr viel Zeit mit ihrer eigenen Tochter verbracht, und erkannte daher die Wölfe hinter dem sanften Äußeren, das diese zähen, tödlichen jungen Männer ihrer Umgebung präsentierten. Allison war auch nicht immun gegenüber dem Bewusstsein, dass die Waffenträger ohne zu zögern zum Schutz der Kinder ihr Leben gäben. Oder zu Allisons Schutz, auch wenn sie die Möglichkeit, dass irgendjemand ihr vorsätzlich schaden könnte, immer noch für etwa genauso wahrscheinlich hielt wie die Annahme, sie könnte persönlich den Wärmetod des Universums erleben.
Doch Samuel Mueller hatte die Waffenträger nicht durchgesetzt, weil er ihr Bestes wollte, sondern weil er wusste, wie sehr Allison allein der Gedanke an Leibwächter widerstrebte. Sie hatte sich vorgenommen, dies den Schulden zuzuschlagen, die er ohnehin schon bei ihr gemacht hatte, denn wie es in dem alten terranischen Lied hieß, führte sie eine kleine Liste. Oja, sie führte eine kleine Liste …
Weil Allison wusste, aus welchem Grund er sich solche Mühe gemacht hatte, ihr die Situation aufzuzwingen, fiel es ihr umso schwerer, die Beschränkungen zu akzeptieren, die ihrem Leben vom Status der Zwillinge (und ihren Leibwächtern) auferlegt wurden.
Die Mutter einer unmündigen Gutsherrin konnte nicht einfach aus einer Laune heraus einkaufen gehen. Sie änderte auch nicht ihre Pläne, ohne rechtzeitig Bescheid zu geben, damit sämtliche Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden konnten – gewöhnlich in dreifacher Ausfertigung. Allison war zu intelligent, um die Notwendigkeit solcher Maßnahmen anzuzweifeln. Weiß Gott hatten die Leute im Laufe der Jahre oft genug versucht, ihre ältere Tochter zu töten, gewöhnlich aus Gründen, die sie für stichhaltig hielten. Es gab mehr als genügend Sonderlinge, Exzentriker und behandlungsbedürftige Geisteskranke, die es als ihre Berufung ansehen mochten, die erste Erbin der ersten Gutsherrin zu ermorden. Irre benötigten keine Religion, um durchzudrehen, das hatte Allison schon vor langer Zeit festgestellt. Dennoch verlieh ihnen die Religion eine zusätzliche Entschlossenheit, ihr auserkorenes Ziel auch wirklich zu
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