Honor Harrington 11. Wie Phoenix aus der Asche
mochten sie sagen, was sie wollten; kaum jemand auf dem Planeten aber ahnte, was Baumkatzen wirklich waren. Indes wusste jeder, dass sie kaum die ›einfachen kleinen Wesen‹ waren, die während offizieller Zeremonien solche ›Unfälle‹ verursachten.
Später kam Allison zu Ohren, dass Mueller ausnahmslos jedem erzähle, er glaube die Gerüchte nicht, denen zufolge die Gutsherrinmutter die bösartigen Tiere absichtlich auf ihn gehetzt habe. Was ihr frivoles Benehmen angehe, nachdem sie die Gewalt über die Biester verloren hatte, so handle es sich dabei ohne Zweifel um eine Nachwirkung postpartaler Depression und müsse daher von einem wahren Gentleman entschuldigt werden. Zwei oder drei seiner hirntotesten Gefolgsleute glaubten sogar möglicherweise seine Erklärung, warum Allison ›unpässlich‹ gewesen sei, aber niemand sonst. Allison wusste, dass man leidenschaftlich darüber spekulierte, womit Mueller sich den Unwillen der Katzen wohl zugezogen habe und weshalb die Gutsherrinmutter deren Abscheu vor ihm teile. Die allermeisten Neugierigen schienen zu dem Schluss gekommen zu sein, die Gutsherrinmutter müsse einen ausgezeichneten Grund dafür haben, und unentwegt wurde im Flüsterton darüber debattiert, was Mueller ihr (oder ihrer Tochter) wohl angetan haben konnte, dass er eine öffentliche Demütigung wie diese verdiente.
Niemand hätte im Traum daran gedacht, Allison direkt zu fragen. Das war gut so, denn sie hätte keine Antwort gegeben. Sie glaubte zumindest, dass sie eine Antwort verweigert hätte; ganz sicher war sie sich nicht. Eine derartige Frage hätte sie jedenfalls nicht beantworten sollen , denn der Grund war nur einem sehr begrenzten Personenkreis zugänglich gemacht worden; es gab keinen Beweis, der vor Gericht standgehalten hätte. Im Gegensatz zu den meisten Graysons waren weder Howard Clinkscales noch Benjamin Mayhew jemals mit der Erklärung zufrieden gewesen, William Fitzclarance habe den Mordplan auf Honor ohne Mitverschwörer ausgebrütet und ganz allein das Attentat ausführen lassen, das nur um Haaresbreite fehlgeschlagen war … dennoch hatte besagtes Attentat Reverend Hanks und fünfundneunzig Harringtoner Siedler das Leben gekostet. Clinkscales und Mayhew ließen insgeheim Ermittlungen durchführen, ohne es je dem anderen (oder Honor) gegenüber zu erwähnen. Unabhängig voneinander waren sie beide zum gleichen Schluss gelangt: dass Mueller bis zum Hals mit in der Sache steckte.
Hätte es auch nur den winzigsten unwiderlegbaren Beweis gegeben, so wäre Samuel Mueller, Gutsherr hin oder her, bereits ein toter Mann gewesen, das wusste Allison. Doch hinter seiner herzlichen, schwülstigen Fassade verbarg sich ein sehr kluger und äußerst berechnender Verstand. Gerade darum existierte nur eine Hand voll Indizien, die vor Gericht nicht für eine Verurteilung ausreichten, schon gar nicht, wenn der Angeklagte zu den Schlüsseln gehörte. Und weil sich Mueller als eindeutiger Führer der konservativ-oppositionellen Kräfte im Konklave der Gutsherren herauskristallisiert hatte, konnte weder der Protector noch der Regent des Guts von Harrington öffentlich Vorwürfe gegen ihn erheben, die vor Gericht standhielten. Jeder Anwalt (oder Politiker) hätte nämlich leichtes Spiel, diese Vorwürfe als parteitaktischen Kniff hinzustellen, als Verleumdung eines politischen Gegners.
Allison verstand das genauso gut wie den Grund, aus dem sich Benjamin und Clinkscales zwangen, Mueller so zu behandeln, als hätten sie niemals auch nur den leisesten Verdacht gegen ihn geschöpft. Ohne Zweifel aber beobachteten sie ihn mit Adleraugen und warteten nur darauf, dass er sich erneut auf das Territorium des Hochverrats wagte. Dann – und nur dann! – würden sie ihn zerschmettern.
Erfreulicherweise sah sich Allison unter keinem Freundlichkeitsgebot und hoffte sehr, Mueller würde ihr noch weitere Gelegenheiten geben, ihn zu blamieren. Außerdem fragte sie sich, ob er auch nur ansatzweise begriff, wie viel Glück er gehabt hatte – schließlich hatten Hera und Nelson sich damit begnügt, ihm lediglich Kleidung und Würde zu zerfetzen.
So befriedigend die kleine Szene auch gewesen war, mit ihr hatte Allison offen erklärt, dass zwischen ihr und Mueller Krieg herrsche. Nach dem graysonitischen Verhaltenskodex musste er ihr – zumindest in der Öffentlichkeit – mit ausgesuchter Höflichkeit begegnen, ganz gleich, wie sehr es in ihm brodelte. Zum ersten Mal fand Allison die Zwänge durch den
Weitere Kostenlose Bücher