Honor Harrington 11. Wie Phoenix aus der Asche
Wenn es eines Tages auf Messers Schneide steht, wenn Sie der Offizier auf dem heißen Stuhl sind und echte Raketen und Strahlen auf Sie zurasen, dann spielt nichts von dem, was wir Ihnen beibringen können, noch wirklich eine Rolle. Hoffentlich haben Sie das alles dann im Hinterkopf, sozusagen als Wissensgrundlage. Sie werden diese Grundlage brauchen, glauben Sie mir, aber letztlich zählt nur noch, welche Entscheidungen Sie aufgrund Ihrer Bewertung der Lage treffen, mit der Sie es konkret zu tun haben.
Einige von Ihnen werden diese Situationen nicht überleben.«
Sie ließ den Blick über ihr jugendliches Publikum schweifen und schmeckte seine Emotionen: Nüchternheit und zugleich das Gefühl, unsterblich zu sein. Dieses Gefühl war bei so jungen Menschen unausweichlich, das wusste Honor. Sie vermochte nicht mehr zu tun, als die Kadetten auf den entsetzlichen Moment vorzubereiten, in dem ihr Schiff unter feindlichem Beschuss wanken und sich aufbäumen würde. Das wäre der Moment, in dem sie begreifen würden, dass der Tod sie ebenso leicht ereilen konnte wie jeden anderen.
»Selbst wenn Sie alles genau richtig machen, könnten Sie sich eines Tages unversehens in einer Situation wieder finden, aus der Sie sich nicht einmal dann befreien könnten, wenn Sie ein taktisches Genie wären«, fuhr sie unbewegt fort. »Das ist Edward Saganami geschehen, es ist Ellen D’Orville zugestoßen, und wenn es ihnen passieren konnte, dann kann es jedem von uns widerfahren. Ja, im Grunde bin ich der lebendige Beweis dafür, denn genau in so eine Situation ist die Prince Adrian im Adler-System geraten.
Was immer Ihnen zustößt, es wird drei Dinge geben, die Ihnen helfen. Zum einen die Tradition der Royal Manticoran Navy – und wenn Sie Saganami Island abschließen« – sie ließ den Blick noch einmal über die Kadetten schweifen – »dann gehört diese Tradition Ihnen, ganz gleich, welche Uniform Sie tragen. Hören Sie darauf. Schälen Sie das HoloDrama-Heldentum und die Hagiografien fort und machen Sie sich klar, was man wirklich von Ihnen erwartet. Dadurch erhalten Sie eine Leitlinie, die Sie nie im Stich lässt. Vielleicht kommen Sie dadurch ums Leben«, sie lächelte ironisch, »aber zumindest kommen Sie nicht in die Situation, sich fragen zu müssen, wo Ihre Verantwortung liegt.
Zum zwoten haben Sie Ihr Selbstvertrauen. Das Vertrauen in Ihre Ausbildung, in Ihr Gerät und noch wichtiger, in Ihre Leute. Am wichtigsten aber: in Ihr Urteilsvermögen. Es wird nicht immer perfekt sein. Trotz allem, was wir hier auf Saganami Island und im TLF für Sie tun können, wird es manchmal scheußlich daneben liegen. Aber Sie brauchen Vertrauen in sich selbst, Ladys und Gentlemen, denn es wird niemand für Sie da sein. Es hängt alles von Ihnen ab. Ihr Schiff und Ihre Leute überleben oder sterben, je nachdem, wie Sie urteilen und wie Sie entscheiden. Und selbst wenn Sie alles absolut richtig machen, einige sterben trotzdem.«
Ihr Lächeln war verschwunden, und ihr Gesicht war ernst, fast kalt.
»Nehmen Sie das bereits jetzt hin, denn es wird so kommen. Der Feind will genauso am Leben bleiben wie Sie, und wie für Sie besteht auch für ihn die einzige Möglichkeit darin, diejenigen zu töten, die ihn töten wollen. Das sind Sie, Ladys und Gentlemen. Sie und die Menschen unter Ihrem Befehl. Und ich darf Ihnen versichern, dass es Nächte geben wird, in denen Ihre Toten Sie heimsuchen. Dann werden Sie sich fragen, ob Sie nicht doch ein paar Menschenleben mehr hätten retten können, wenn Sie nur ein wenig schneller, klüger oder aufmerksamer gewesen wären. Manchmal lautet die Antwort: Ja, Sie hätten mehr retten können. Aber Sie haben es nicht getan. Sie haben Ihr Bestes gegeben, Ihre Pflicht getan, aber diese Menschen auch, und sie sind immer noch tot. Was immer der Rest des Universums denkt, Sie werden sich bis zu Ihrem Lebensende vorwerfen, nicht genug geleistet zu haben; stets werden Sie glauben, Sie hätten eine Möglichkeit finden müssen, auch diese Leute zu retten. Und je öfter Sie an das Geschehene zurückdenken und es in ihrem Kopf abspielen, desto eher werden Sie ganz genau sehen, wo Sie Fehler begangen haben, die andere Menschen das Leben kosteten. Denn im Nachhinein hat man alle Zeit der Welt, um Entscheidungen zu fällen, die man im Gefecht leider innerhalb weniger Minuten treffen muss.«
Sie verstummte, und neben ihr nickten Admiral Kriangsak und Captain Garrison, der oberste Simulationsprogrammierer des TLF, mit
Weitere Kostenlose Bücher