Honor Harrington 12. Die Raumkadettin von Sphinx
sich – die Entführung , um Himmels willen – ist im Hinblick auf das erwünschte Ergebnis völlig übertrieben. Ich bin Offizier im Office of Naval Intelligence, stimmt, aber ich bin auf technische Auswertung spezialisiert. Ich kenne mich mit der Konstruktion von Flottenschiffen aus. Bevor meine Frau umgebracht wurde, war ich ein Werftheini. Danach … bin ich zum ONI gewechselt.« Wieder machte er eine Sprechpause. »Ich schätze, ich wollte etwas tun, das den Havies direkt schadet. Im Gegensatz zu Helen war ich in Raumkampftaktik nie so gut, als dass ich mir Hoffnung auf ein eigenes Schiff hätte ausrechnen können. Deshalb schien der Nachrichtendienst die beste Wahl zu sein.«
Lady Catherine neigte den Kopf zur Seite. Die Geste barg wenig Neugier. Anton glaubte den Grund dafür zu verstehen, und wenn er Recht hatte, konnte er über ihren Scharfblick nur staunen.
Er lächelte reumütig und fuhr sich mit den Fingern durch die dicke Haarpracht. »Ja, ich weiß. ›Wie viel Fass wird Euch Eure Rache einbringen, Kapitän Ahab, selbst wenn Ihr sie befriedigt?‹«
Sie schenkte ihm ebenfalls ein Lächeln, breit und strahlend. In ihren Augenwinkeln bildeten sich Lachfalten. »Wie schön!«, rief sie aus. »Ein steinharter Gryphon-Highlander, der die alten Klassiker zitiert. Ich wette, das haben sie nur deshalb gelernt, damit sie sich im manticoranischen Adel blicken lassen können.«
Trotz der ernsten Beweggründe, die ihn zu ihr geführt hatten, und trotz seines streng kontrollierten Entsetzens über die Entführung seiner Tochter konnte Anton nun nicht anders als zu lachen. Zumindest musste er kichern. »Nur anfangs, Lady Catherine! Nach einer Weile habe ich tatsächlich Gefallen an diesen Werken gefunden.«
Doch der Humor schwand aus seinem Ausdruck. Auch hiermit war alter Herzschmerz verbunden; es war seine Frau Helen gewesen – selbst eine Manticoranerin, zwar keine Adelige, aber aus »gutem Hause« –, die Anton zuerst an Moby Dick herangeführt hatte. Nicht etwa, weil Helen eine Verehrerin klassischer Literatur gewesen war, sondern schlicht weil sie wie so viele Raumoffiziere in der manticoranischen Navy die Leidenschaft für jede Art von Seefahrtsromanen geteilt hatte. Unter besagten Offizieren vertraten die meisten energisch die Ansicht Joseph Conrad sei der größte Autor aller Zeiten gewesen; doch gab es auch eine lautstarke Minderheit, die Patrick O’Brian als solchen anerkannt wissen wollte.
Anton richtete seine Aufmerksamkeit wieder ganz auf die Gegenwart. »Der Punkt, ist, Lady Catherine, dass ich einfach nicht genug darüber weiß , was die Havies sich von einem solchen Verbrechen versprechen könnten!«
»Es sind definitiv brutale Bastarde«, stellte die Gräfin fest. »Vor allem diese Sadisten in der Systemsicherheit. Denen traue ich alles zu.«
Wieder war Anton von der Gräfin überrascht. Die meisten Freiheitler und Progressiven, denen er begegnet war (vor allem die Adeligen unter ihnen), neigten dazu, die Skrupellosigkeit des havenitischen Regimes wortreich mit dem typischen Jargon des Linken Flügels unter den Tisch zu kehren oder sogar halb zu entschuldigen. Als höre eine Tyrannei auf, eine Tyrannei zu sein, wenn man den Begriff mit einigen zusätzlichen Silben spickte.
Er schüttelte den Kopf. »Das ist irrelevant. Sie sind bestimmt unmenschlich genug dazu – und die SyS sogar ganz sicher –, aber …«
Wieder konnte er ein Kichern nicht unterdrücken. Der reinste Rollentausch! »Lady Catherine, mir liegt es eher fern, die Havies in Schutz zu nehmen, aber ich bin auch kein Kretin. Wie verderbt dieses Regime auch sein mag, es besteht nicht aus den Bilderbuch-Ungeheuern eines Kindermärchens. Mir ist einfach unbegreiflich, was man mit dieser Sache bezweckt. Jedenfalls größtenteils.« Er beugte sich vor. »Ich wurde hierhergeschickt, um den Technologietransfer von der Solaren Liga zur Volksrepublik Haven im Auge zu behalten. Aufgrund meines technischen Hintergrundwissens kann ich mir einen Reim auf lnformationen machen, mit denen die meisten Spezialisten des ONI …« Er zögerte. »Ach, zum Teufel, nennen wir uns ruhig ›Spione‹, oder?«
Die Gräfin lächelte; Anton fuhr fort: »… mit denen die meisten Spione nichts anzufangen wissen. Es liegt nur in der Natur meiner Arbeit, dass ich eher die Geheimnisse des Feindes herauszufinden versuche, als die unsrigen zu bewahren. Warum also sollten die Havies meine Tochter kidnappen, um aus mir Informationen herauszupressen, die sie
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